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Kampf gegen die Gewerkschaftsfreiheit und die Anarcho-Syndikalisten schon zu Weimarer Zeiten

26. Dezember 2009

Zeitung der FAUD „Der Syndikalist“. Das Bild zeigt eine Ausgabe aus dem Jahr 1931.

Nicht nur heutzutage sind dem Staat (den Kapitalisten ja sowieso) unabhängige, basisdemokratische und klassenkämpferische Vereinigungen von Lohnabhängigen ein Dorn im Auge (und leider noch viel zu selten ein schmerzender Stachel in ihrem Arsch). Das Landgericht Berlin, das der Berliner FAU verbietet sich als „Gewerkschaft“ bzw. als „Basis-Gewerkschaft“ zu bezeichnen, stellt sich somit in eine Traditionslinie mit dem Reichsarbeitsgericht der Weimarer Republik von 1930. Damals wurde den Anarchosyndikalisten der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) die Vertretungsrechte für ihre Mitglieder aberkannt, der praktische Nutzen der FAUD bei offiziellen betrieblichen Verhandlungen also beseitigt und die Organisation dadurch zur Bedeutungslosigkeit im Bereich der Tarifverhandlungen- und Abschlüsse gezwungen.

Auf der Homepage des Anarcho-Syndikalistischen Kreises Hamburg/Vereinigung Aller Berufe findet sich nun aktuell ein Kommentar des anerkannten Arbeitsrechtsexperten der FAUD zu diesem Urteil aus dem Jahre 1930, Fritz Linow. Er analysiert die Auswirkungen dieses Urteils für die gewerkschaftliche Praxis der FAUD.

Zusätzlich dokumentieren die Genossen des ASK/VAB Hamburg auf ihrer Seite das aktuellste Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Gewerkschaftseigenschaft von 2006 sowie deren Pressemitteilung zum Gewerkschaftsbegriff. Sie schreiben:

„Aus gegebenem Anlaß veröffentlichen wir hier noch mal das richtungweisende Urteil des Reichsarbeitsgerichts vom 31. Mai 1930 gegen die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Anarchosyndikalisten), das dieser Gewerkschaft die Vertretungsrechte aberkannte. Wer diesen Text genau und sorgfältig liest – es ist nicht das Urteil selbst, sondern ein Kommentar des FAUD-Arbeitsrechtsexperten Fritz Linow. Wir dokumentieren hier auch das Bundesarbeitsgerichtsurteil zur Gewerkschaftseigenschaft aus dem Jahre 2006 – BAG-Beschluss vom 28.3.2006 BAG 1 ABR 58/04 2006. Die Pressemitteilung des BAG zum Gewerkschaftsbegriff ist auch mehr als eindeutig: BAG 1 AR 57/2006 Vielleicht hilft dieses Material zum Verständnis der Arbeitsrechtskontinuität seit damals …“

Eine unmögliche Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts

Von Fritz Linow

Im Heft 9 der „Internationale“ wurde bereits zu einer Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts Stellung genommen, die der Freien Arbeiter-Union Deutschlands die Vertretungsberechtigung für ihre Mitgliedschaft vor den Arbeitsgerichten und damit in weiterem Sinne auch für andere Entscheidungs-behörden, abspricht. Die Arbeit „Kollektivvertrag und direkte Aktion“ befaßte sich schon mit dem wesentlichsten Punkt, der dem ablehnenden Entscheid des Reichsarbeitsgerichts zugrunde lag. [1]


Wie ein roter Faden zieht sich durch das Urteil vom 30. Mai 1930 der Begriff der direkten Aktion. Alle Einzelgründe des Reichsgerichts kehren im Endergebnis ihrer Betrachtungen und Untersuchungen immer wieder zur direkten Aktion zurück. Der entscheidende Senat des Reichsarbeitsgerichts hütet sich aber, von sich aus den Begriff direkte Aktion zu definieren. Aus diesem Grunde baut sich die ganze Entscheidung des Senats auf bloße Redensarten auf; denn das Fehlen einer genauen Begriffsbestim; mung der direkten Aktion in den Entscheidungsgrün den muß wohl oder übel zu einer falschen rechtlichen Wertung dieses Begriffes führen, zumal eine genaue und erschöp« fende Deutung und Formulierung des Begriffes direkte Aktion selbst in den diesbezüg» liehen Erklärungen, Beschlüssen und Publikationen der Freien Arbeiter-Union Deutschlands nicht gegeben ist.

Zweifelsohne hatte das Reichsarbeitsgericht die Pflicht, genau zu umreißen, was es unter direkter Aktion verstanden wissen will. Dieser wesentliche Mangel in den Entschcidungsgründen muß mit Naturnotwendigkeit das ganze Urteil in seinen einzelnen Bestandteilen ungenau machen und darüber hinaus zu entscheidenden Irrtümern führen. Das Reichsarbeitsgericht behandelt den Begriff direkte Aktion nicht anders als irgendeine unwesentliche Redensart, die man wohf mit seinen Gehörsinnen auf- nimmt, über die aber das Hirn keinerlei Verstandesarbeit verliert. Und doch ist gerade der Begriff direkte Aktion für den erkennenden Senat das Entscheidende. Er macht ihn zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen und legt ihn dem Urteil zugrunde, indem er sagt, mit dem Wesen der direkten Aktion ist der Abschluß von Tarifverträgen nicht vereinbar, da die mit demselben verbundene Friedenspflicht zu einer zeitweiligen Nichtanwendung der Kampfmittel verpflichten würde.

Das Wesen der direkten Aktion ist aber nicht untersucht, so daß der Senat seine Betrachtungen eigentlich mit Luftbegriffen führt und demzufolge zu einer bloßen juristischen Schaumschlägerei kommt. Diese Tatsache erhellt aus der Ansicht des Reichsarbeitsgerichts, daß die Tarifverträge, soweit solche überhaupt von der Freien Arbeiter-Union Deutschlands oder ihren Ortsvereinigungen abgeschlossen sind, dann, wenn sie sich nicht umgehen ließen, ebenso Mittel des Tageskampfes sind wie die anderen Methoden der direkten Aktion. Sie sind nach Ansicht des Senats ab geschlossen oder werden abgeschlossen, um eine Benachteiligung der Mitglieder im einzelnen Falle zu vermeiden, aber stets mit dem nicht verhehlten Vorbehalte, die in den Tarifverträgen eingegangenen Verpflichtungen zu jeder Zeit, wenn es zum Zwecke des revolutionären Kampfes erforderlich erscheint, mit den anderen Methoden der direkten Aktion zu brechen.

Danach also ist das Reichsarbeitsgericht der mehr als sonderbaren Auffassung, daß die Tarifverträge Methoden der direkten Aktion sind. Diese Anschauung ist absolut unmöglich. Was mögen wohl die reformistischen gewerkschaftlichen Spitzenverbände zu einer solch unsinnigen Auslegung des Begriffes Tarifvertrag sagen? Sicherlich werden sie sich mit Zähnen und Klauen gegen eine solche Begriffsauslegung wehren. Dazu hätten sie auch alle Berechtigung; denn der Tarifvertrag kann wohl eine Folge der Methoden der direkten Aktion sein, nie aber ist er selbst eine Methode derselben, da er ja, wie das Reichsarbeitsgericht zu unzähligen Malen festgestellt hat und auch in dem hier besprochenen Urteil wiederum feststellt, in seiner gegenwärtigen Form dem Wirtschaftstrieden zu dienen hat. Er trägt also alle Merkzeichen eines Zustandes, w elcher Folge von Kampf maßnahmen ist oder herbeigeführt wurde, um solche zu verhindern.

Es ist nicht zu verwundern, wenn der Senat bei seinen Jongleurkunststücken mit Begriffen zu der recht sonderbaren Feststellung kommt, daß die Freie Arbeiter-Union Deutschlands nur deshalb und nur zu dem Zweck Tarifverträge abschließt, um eine Benachteiligung ihrer Mitglieder zu verhindern.
Was ist denn der Tarifvertrag rechtlich überhaupt? Doch nichts anderes als ein Vertragswerk, mit dem die Vertragspartner verhindern wollen, benachteiligt zu werden. Die Arbeiterschaft schließt durch ihre Gewerkschaft einen Tarifvertrag ab, um den materiellen Inhalt der Einzelarbeitsverträge durch denselben zu bestimmen. Sie will sich durch Vertragsabschluß davor schützen, daß die Unternehmerschaft gegebene Zusagen bricht, sie will sich also vor Benachteiligung schützen. Jeder Tarifvertrag geht in seinen rechtlichen Konsequenzen auf den Willen zurück, Benachteiligungen zu verhindern.

Schließt die Freie Arbeiter-Union Deutschlands Tarifverträge ab, dann ganz selbstverständlich, um ihre Mitgliedschaft vor Benachteiligung zu bewahren. Diese Tatsache kann doch aber nicht gegen die Tariffähigkeit der FAUD. sprechen! Ganz im Gegenteil, sie muß dafür sprechen; denn der Tarifvertrag kann doch hinsichtlich seiner Beziehungen zum Rechtsanspruch der Vertragsparteien nicht als Ding an sich gewertet Vierden, sondern muß betrachtet und beurteilt Vierden als eine Zeiter scheirrung, die wie alle anderen Erscheinungen überaus vielfältig ist und tausenderlei Beziehungen zur Umwelt hat, die dazu beitragen, den Betrachtungsgegenstand ständig zu verändern. Das Reichsarbeitsgericht behandelt den Tarifvertrag aber als etwas Absolutes und muß dann verständlicherweise allerlei Kapriolen machen, um bisher durchaus eindeutige Begriffe auf den Kopf zu stellen.
Es ist auch eine durch keinerlei Beweise gestützte Behauptung, daß der Tarifvertrag, den die FAUD, zum Zwecke der Verhinderung der Benachteiligung ihrer Mitglieder abschließt, die Tendenz zeigt, daß er mit den anderen Methoden der direkten Aktion gebrochen wird weil schon beim Vertragsabschluß aus diesem Vorbehalt kein Hehl gemacht wird. Eine ebenso unbewiesene Behauptung ist es, wenn das Reichsarbeitss gericht die Feststellung macht, daß die FAUD. jede Bindung an Tarifverträge verwirft und diese Weisheit zusammen mit der Vorinstanz, dem Landesarbeitsgericht Duisburg, aus der programmatischen Grundlage und aus der Prinzipienerklärung des Anarcho-Syndikalismus folgert. Das höchste deutsche Gericht iür Arbeitsrechtsentscheidungen bat damit einen Weg der Urteilsfällung, Urteilsbildung und Urteilsbegründung eingeschlagen, der allen bisherigen Grundsätzen zuwiderläuft. Bisher war es in der Rechtsprechung üblich, daß alle schwerwiegenden Ent scheid ungsgrunde nur dann für die Urteilsbildung Verwendung fanden, wenn ihre materielle Beweiskraft ausreichte, d. h., wenn eine aus irgendwelchen Umständen gezogene Folgerung auch durch materielle Beweise erhärtet werden konnte. Mit beweislosen Behauptungen kann eine so wichtige Frage, wie die Tariffähigkeit einer Organisation, nicht entschieden werden. Bloße Folgerungen haben allein noch keineswegs Beweiskraft. Selbst dann nicht, wenn man glaubt, annehmen zu dürfen, daß die eigene Folgerung den Tatsachen, wenn auch nicht ganz entspricht, so doch zumindest nahe kommt. Im Strafrecht gilt als vornehmster Rechts« und Entscheidungsgrundsatz die Formel: im Zweifelsfalle für den Angeklagten. Auch für die übrigen Rechtsgebiete muß dieser Grundsatz entsprechende Beachtung finden.

Das Reichsarbeitsgericht aber hat sich darüber hinweggesetzt und willkürlich Folgerungen gezogen, Gegensätze konstruiert und Behauptungen aufgestellt, die die Urteils; findung beeinflußten und zu Rechtsirrtümern führten, welche absolut offenkundig sind; denn bei richtiger Würdigung des Begriffes direkte Aktion und bei der Beweiserhebung über die Stellung der FAUD. zum kollektiven Arbeitsvertrag hätte der entscheidende Senat zu einer anderen Grundlage für seine Entscheidung kommen müssen.

Ein weiterer und durchaus wichtiger Grund für die Ablehnung dei FAUD. ist für das Reichsarbeitsgericht die Stellung derselben zum Schlichtungswesen. Nach Meinung des erkennenden Senats setzt die Anerkennung der Tarif fähigkeit voraus, daß der in Frage kommende Verband das geltende Tarif- und Schlichtungswesen anerkennen muß. Dabei spielt es für den Senat keine Rolle, ob der Verband mit den Grundsätzen des Tarif- und Schlichtungswesens einverstanden ist oder nicht. Der Wille, dieses zu ändern oder zu beseitigen, ist dem Senat gleichgültig, wenn Tarif- und Schlichtungswesen nur als geltend anerkannt werden, und der Verband auch seine Aufgabe darin erblickt, im Rahmen desselben beim Abschluß von Tarifverträgen mitzuwirken. Soweit es sich bei diesen Feststellungen um die Tarif Vertragsordnung handelt, kann man die Bedenken gegen die Formulierung des Reichsarbeitsgerichts auf sich beruhen lassen, da diese Verordnung zum Teil Selbstverständlichkeiten ausdrückt.

Sofern aber die Verordnung über das Schlichtungswesen in Frage steht, ist der Entscheidungsgrundsatz des Reichsarbeitsgerichts zweifelsohne recht bedenklich; denn es muß in Betracht gezogen werden, daß das Schlichtungswesen durch eine Verordnung in Kraft gesetzt wurde, die auf die sogenannten Ermächtigungsgesetze zurückgeht.

Die Verordnung über das Schlichtungswesen vom 30. Oktober 1923 ist ein Ausnahmegesetz, welches zu einer Zeit erlassen wurde, als die Reich sregierung in Hinblick auf die Ueberwindung der Inflation dem Drängen der Schwerindustriellen nachgab, die verhindern wollten, daß die Arbeiterschaft sofort an die wertbeständige Währung anknüpfend umfassende Lohnaktionen organisierte. Das Schlichtungswesen sollte diese Lohnbewegungen auffangen und in eine für den Kapitalismus günstige Bahn drängen. Es zeigt alle Merkmale eines Sonderrechts, das unter außergewöhnlichen Umständen in Kraft gesetzt wurde. Ob man heute nach fast sieben Jahren, wo die Bedingungen, die zu dieser Verordnung führten, nicht mehr gegeben sind, rückhaltlose Anerkennung des Schlichtungswesens fordern kann, erscheint mir sehr fraglich.

Diese Zweifel werden auch nicht dadurch zerstreut, daß das Reichsarbeitsgericht darauf hinweist, daß mit der Tarifvertragsordnung die abschließenden Verbände mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen und Pflichten ausgestattet wurden. Diese öffentlich-rechtlichen Befugnisse und Pflichten sind an sich noch keine Begründung für die Verpflichtung, das Schlichtungswesen als geltend anzuerkennen und in seinem Rahmen an dem Zustandekommen von Tarifverträgen mitzuwirken; denn es steht ja den Vertragsparteien frei, sich der Vertragshilfe zu vergewissern. Ein Zwang für die Beilegung von ÄTbeitsstreitigkeiten vor Schlichtungsausschüssen besteht doch nur bei Vorliegen wichtiger Gründe oder wenn das „allgemeine Wohl“ gefährdet ist. In seiner Auswirkung ist also das Schlichtungswesen, abgesehen von den vorher geltend gemachten Einschränkungen, durchaus auf die Freiwilligkeit beschränkt. Eine solche Freiwilligkeit aber kann nicht durch einfachen Gerichtsbeschluß zu einem Zwang gestempelt werden, der die Anerkennung des Schlichtungswesens kategorisch fordert. Aus diesem Grunde vermag man dem Reichsgerichtsurteil nicht zu folgen, wenn es die Tariffähigkeit abhängig macht von der Anerkennung und Mitarbeit an den Schlichtungsbehörden.

Man kann der Entscheidung auch in einer ganzen Reihe anderer Fragen nicht folgen, besonders, wenn es an einer Stelle heißt, daß der Klassenkampf und die Einstellung der FAUD., die die Gegensätzlichkeit der Interessen zwischen Arbeitern und Unternehmern hervorhebt, nicht dazu berechtigen, die Tariffähigkeit zu verneinen, weil ja auch andere als tariffähig anerkannte Vereinigungen ‚auf dem gleichen Grunds satz beruhen, dann aber in demselben Urteil aus einigen anderen viel unwesentlicheren Umständen die Tariffähigkeit verneint wird.

Wenn der Klassenkampf für die Tariffähigkeit keinen Hinderungsgrund darstellt, dann können auch die Methoden des Klassenkampfes kein Hinderungsgrund sein, falls sie einzig und allein den Zweck verfolgen, die Arbeiterschaft durch schnelles und direktes Handeln den Unternehmern gegenüber in Vorteil zu setzen. Anerkennt man den Klassenkampf als eine Folge der Privats und Eigentumswirtschaft, dann muß man auch die Wirkungen des Klassenkampfes und seine Methoden anerkennen. Das eine schließt das andere in sich.

Besonders sinnfällig wird die rechtsirrige Ansicht des Reichsarbeitsgerichts, wenn die Entscheidung betont, daß die Satzungen der FAUD, das von der Rechtsprechung geforderte Ziel der Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder gegenüber den Unternehmern und der Einflußnahme auf die Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen enthält. Da aber die Bestrebungen der FAUD. nach Meinung des Reichsarheitsgerichts in den. Satzungen nicht erschöpfenden Ausdruck gefunden haben, kommt es zu einer Verneinung der Tariffähigkeit, weil nach der Prinzipienerklärung angenommen werden muß, daß die FAUD. eine Bindung an Tarifverträge grundsätzlich ablehnt. In überaus origineller Weise wird diese Ansicht mit Zitaten aus der Prinzipienerklärung begründet. Diese Art, die Tarifunfähigkeit der FAUD. zu beweisen, ist neu und muß zu stärkstem Protest herausfordern. Letzten Endes kann man mit Zitaten alles beweisen, das macht recht wenig Mühe; zumal das Reichsarbeitsgericht, wie eingangs erwähnt, nicht sagt, was es unter direkter Aktion, die man aus der Prinzipienerklärung einige Male als Begriff zitiert, versteht. Nichts sagt das Urteil über die Methodik und über die Anwendungsformen der direkten Aktion. Es zählt nur die einzelnen Kampfmittel auf, ohne selbst zu denselben Stellung zu nehmen und sie auf ihr Wesen hin zu prüfen. Aus den Resolutionen der verschiedenen Kongresse der FAUD. geht keineswegs hervor, daß die direkte Aktion aus individuellen Akten besteht. Ferner stellen sie für die Mitgliedschaft keine zwingenden Vorschriften dar, sondern formulieren nur, sind Meinungsausdruck. Daraus aber die Tarifunfähigkeit herzuleiten, ist unverständlich.
Von Wichtigkeit ist auch, daß das Reichsarbeitsgericht die Feststellung macht, daß nicht nur die Freie Arbeiter-Union Deutschlands — gewissermaßen als Verband wirtschaftlicher Vereinigungen — Tariffähjgkeit nicht besitzt, sondern auch die einzelnen Ortsvereine haben keine Tariffähigkeit, da sie auf der gleichen Grundlage basieren wie die FAUD. Diese Einstellung ist um so unverständlicher, als eine ganze Anzahl von Ortsvereinen Träger oder Mitträger von Tarifverträgen sind. Das müßte als ein Zeichen der Tarifwilligkeit immerhin vermerkt worden sein, wenn es sich um die Feststellung handelte, ob bei der FAUD. oder ihren Ortsvereinen Tariffähigkeit vorliegt. Das Reichsarbeitsgericht hat ganz im Gegenteil diese Tarifwilligkeit nicht einmal anerkannt, sondern gesagt, diesem Abschluß einzelner Tarifverträge können Erwägungen rein taktischer Natur zugrunde liegen, die es haben angezeigt erscheinen lassen, die Durchführung der Grundsätze der Prinzipienerklärung auf einige Zeit zurückzustellen. Auch hier hat der erkennende Senat verkannt, aus welchen Gründen Tarifverträge abgeschlossen werden. Der Tarifvertrag ist immer nur eine taktische Maßnahme, denn er entspringt keinem. Prinzip, sondern den Verhältnissen. Einen Tarifvertrag schließt man nicht zum Vergnügen ab, sondern weil Gründe, meist sogar recht schwerwiegende Gründe, dafür vorliegen.

Das Reichsarbeitsgericht hat zweifellos mit dieser Entscheidung dazu beigetragen, den Begriff tariffähige oder wirtschaftliche Vereinigungen noch mehr zu verwirren.

DIE INTERNATIONALE # 10 – August 1930, Seiten 222-225

Fritz Linow war der Arbeitsrechtsexperte der FAUD (AS)

[1] Urteil des Reichsarbeitsgerichtes RAG vom 31. Mai 1930 – Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Duisburg; Linows Artikel „Kollektivvertrag und direkte Aktion“, Heft 9 vom Juli 1930 (Seiten 195-199)

Siehe auch den Artikel auf der Seite der VAB Altona

One Comment leave one →
  1. 26. Dezember 2009 13:21

    Kaum bemerkt: Das Jahr 1930

    Es sollte zu diesenm Thema bei den syndikalistischen Gewerkschaften in Deutschland unterschieden werden zwischen Aberkennung des Gewerkschaftsstatus, Teilverboten und Zerschlagung.

    1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen, das bedeutet gänzlich illegalisiert und mit Repressionen gegen die Träger. Die FAUD ahnte dies und löste sich deshalb zuvor auf.
    1914 wurde die Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften nicht verboten, jedoch ihre Presse. Sie konnte dennoch ihre Mitgliederrundschreiben herausgeben. Diese wurden ebenso verboten, ein letztes im Jahre 1917. Die Bewegung wurde stark aufgerieben, dennoch nicht zerschlagen.

    Für das heutige Beispiel ist aber, wenn man historische Analogien ziehen möchte, ein anderes Jahr von größter Bedeutung: 1930. Denn schon damals wurde der FAUD die Tariffähigkeit aberkannt. Und da schaut bitte auf diesen Text:

    http://www.syndikalismusforschung.info/heltarife.htm

    Dies sind die dazugehörigen Broschüren:

    http://www.fau-mat.de/assets/s2dmain.html?http://www.fau-mat.de/50334395ef0e0f99d/50334397f50e5bf04.html

    und sehr ausführlich:

    http://www.fau-mat.de/assets/s2dmain.html?http://www.fau-mat.de/50334395ef0e0f99d/50334397f50e5bf04.html

    Einzelne Texte dazu findet ihr auch online, hier, und zwar unter dem Stichwort „Tarifrecht“:

    http://www.syndikalismusforschung.info/sachfragen.htm

    Aber natürlich ist das Eingreifen des Staates gegen eine Gewerkschaft wie hier eine diktatorische Maßnahme. Und darunter lassen sich dann die Jahre 1914, 1930, 1933 und 2009 zusammenfassen. Es ist hier eben eine ganz normale Tradition, wo sich 1933 dann einreiht als besonders herausragend. Doch sind wir hier auf dem Stand von 1930

    http://www.syndikalismusforschung.info

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