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Lutz Schulenburg ist tot

3. Mai 2013

Ute-Schendel_Porträt-Lutz

Der progressive Unbeugsame – Zum Tod des Verlegers Lutz Schulenburg

Von Hajo Steinert

Lutz Schulenburg war konservativ und progressiv zugleich. Seine Unabhängigkeit, sein freier Geist waren sein Stolz. Nun starb er im Alter von 60 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Hajo Steinert würdigt die Verdienste des Verlegers.

Treue ist keine allein konservative Charaktereigenschaft. Eine reaktionäre erst recht nicht. Treue sich selbst, seinen Idealen, seinen Zielen gegenüber kann eine sehr progressive Eigenart sein. Der Verleger Lutz Schulenburg war konservativ und progressiv zugleich. Beides vereinigte er in einer Person.

Seine Person: eine Verlegerpersönlichkeit, wie es keine vergleichbare mehr nach seinem plötzlichen Tod in unserer Verlagswelt gibt, einer Verlagswelt, die bekanntlich mehr und mehr von Konzernen bestimmt wird. Jeder, der das Glück hatte, ihm persönlich zu begegnen, kannte ihn als stille, besonnene, weltoffen neugierige, gänzlich unaufgeregte, freundliche und Freundschaften suchende, mit seinem grauen, langen Haar Milde und Warmherzigkeit ausströmende Persönlichkeit. Keinen erkannte man auf Buchmessen schon von Weitem so genau wie ihn.

Lutz Schulenburg hielt sich mit seinem unabhängigen Verlag, der “Edition Nautilus”, nie an den gängigen Zeitgeschmack. Der war Lutz Schulenburg, wie er es selbst sagte, “schnurzegal”. Seine Unabhängigkeit, sein freier Geist waren sein Stolz. Seinen Verlag führte er nicht im Gestus eines “Chefs”. Der Verlag, mit einer Handvoll Mitarbeitern, hatte etwas von einer Wohngemeinschaft. Unbeirrbar von welchem Zeitgeist auch immer brachte Lutz Schulenburg, der Eigensinnige, Bücher auf den Markt, die unter eigensinnigen, von Marktschreiern unerreichbaren Lesern für Orientierung sorgten, sei es in aktuellen politischen Fragen, zuletzt besonders bezüglich der arabischen Revolution, sei es in Sachen purer Leselust. “Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text”, war seine Devise.

Dem zufolge vereinte er in seiner 1974 von ihm und seinen, wie man damals noch stolz sagte, “Genossen” gegründeten Edition Nautilus fürderhin Publikationen von Max Ernst, Richard Huelsenbeck, Kurt Schwitters und Tristan Tzara etwa auf der einen Seite, Krimireihen und realistische Romane von zeitgenössischen deutschen Autoren wie Corinna T. Sievers oder Jochen Schimmang auf der anderen Seite. Und mittendrin Bücher von Beteiligten. Beteiligten, die über die Gründe des Scheiterns von politischen Aufständen in der und seit der Protestbewegung der Achtundsechziger neue Aufschlüsse geben.

Ruhig, gelassen, nie seinen Optimismus verlierend, kämpferisch in der aktuellen Urheberrechtsdebatte, menschenfreundlich wie kaum ein anderer seiner Kollegen brachte Lutz Schulenburg das einzigartige Kunststück fertig, Jahr für Jahr ein Verlagsprogramm auf die Beine zu stellen, das in der Rückbesinnung auf vergessene, gleichwohl spektakulär aufregende Texte der literarischen Moderne seinen Hang zum Konservieren unterstrich, gleichzeitig kam sein Verlagsprogramm stets so revolutionär für die Zukunft des literarischen und politischen Bewusstseins leidenschaftlicher Leser daher, dass sich das geneigte Publikum die Augen rieb.

Ein Verlagswunder, wie er es schaffte mit seinen Neuauflagen von Texten in der dadaistischen, surrealistischen und anarchistischen Tradition auf der einen Seite, Krimis, aktuell politischen Schriften und Entdeckungen auch bis dato unbekannter deutscher Erzähler Frühjahrsprogramm für Frühjahrsprogramm, Herbstprogramm für Herbstprogramm ins Rampenlicht zu führen.

Mit der Herausgabe einer geradezu selbstlosen 12-bändigen Franz-Jung-Werkausgabe, zusammengestellt in 16 Jahren Arbeit, geriet der Verlag ökonomisch an seine Grenzen. Die Herausgabe der Schriften Franz Jungs, dieses bis in die heutige Zeit inspirierenden Freigeists der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde mit dem Kurt-Wolff-Preis, der höchsten Auszeichnung, die ein Verlag hierzulande erhalten kann, bestätigt. Alle, die Leser, Kollegen unter den Verlagen und auch wir Literaturkritiker freuten uns mit, als Lutz Schulenburg und seine Edition Nautilus den Zuschlag bekamen, die Textfassung des jährlichen Silvester-Krachers “Dinner for one” zu verlegen, erst recht mit den Bestsellererfolgen der von Lutz Schulenburg entdeckten Autorin Andrea Maria Schenkel, deren Erstlingswerk “Tannöd” monatelang die Bestsellerlisten anführte.

Und, ganz aktuell, das jüngste Werk von Abbas Khider, dem irakischen Schriftsteller, ohne dessen Romane “Die Orangen des Präsidenten” und “Brief in die Auberginenrepublik” wir von der arabischen Welt und den darin wütenden Aufständen nicht so viel verstünden wie wir es nach der Lektüre dieser atemberaubende Romane tun. Solche Bestseller braucht ein kleiner, unabhängiger Verlag wie die Edition Nautilus, um zu überleben und ein Verlagsprogramm voran zu treiben, in dem Trouvaillen und Konspiratives ein Zuhause behalten.

Lutz Schulenburg war unter den deutschen Verlegern nicht nur einer der Unbeugsamen, einer der nichts und niemandem sonst als sich selbst und seiner Entdeckerlust gegenüber Treuen, Lutz Schulenburg war auch einer der Glücklichen in einer nicht immer glücklich agierenden Branche. Sein plötzlicher Tod macht uns traurig. Sein Verlag wird überleben und neues Glück haben. Lutz Schulenburgs Weggefährtin, seine Frau Hanna Mittelstädt, wird den Verlag in seinem Sinne weiterführen.

Quelle: Deutschlandradio

Den Nachruf findet ihr hier zum Nachhören

Tod eines freundlichen Anarchisten

In seiner 41-jährigen Tätigkeit als Verleger blieb Lutz Schulenburg der heitere Kämpfer stoisch dabei, den Geist der sozialen Utopie zu verbreiten und zu gesellschaftlichen Veränderungen zu ermutigen.

„Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“ Dieser Titel des 2004 von Lutz Schulenburg herausgegebenen Büchleins mit „Rebellischen Worten“ von den Sexpistols über Thomas Müntzer bis Groucho Marx könnte auch das Lebensmotto des Verlegers Lutz Schulenburg gewesen sein. In seiner 41-jährigen Tätigkeit als Verleger blieb der heitere Kämpfer stoisch dabei, den Geist der sozialen Utopie zu verbreiten und zu gesellschaftlichen Veränderungen zu ermutigen.

Die „subversive Fibel für eine menschliche Alternative zu den globalen politischen und sozialen Verhältnissen“ fing die zornige und lustvolle Aufbruchsstimmung jener Nach-68er-Zeit ein, in der Lutz Schulenburg wie viele seiner Generation daran glaubten, dass Revolution machbar sei. Der fröhliche Anarchist Lutz Schulenburg hat den Glauben daran nie verloren – und setzte die Philosophie der Tat in den Publikationen seines Verlags um.

1953 in der Hamburger Vorstadt Bergedorf als Kind in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, war er mit 14 Jahren schon in der sozialistischen Schülergruppe, brach die Schule ab, machte eine Lehre als Dekorateur, war aktiv in der anarchistischen Bewegung, was ihn mit dem Situationisten Pierre Gallissaires zusammenbrachte. Mit diesem gründet er 1971 die anarchistische Theorie-Zeitschrift MaD , die später umbenannt wurde in „Revolte!“. Seine zweite „Lehrzeit“ absolvierte er beim Spartacus Buchvertrieb im Keller unter dem Abaton-Kino in Hamburg.

1972 stieß Hanna Mittelstädt dazu, am 1. April 1974 wurde ein Gewerbeschein beantragt für den Verlag, der 1976 Edition Nautilus hieß. Mit den Rechten für „Dinner for One“ gelang ein Coup, der – immer unter fröhlicher Selbstausbeutung – die finanzielle Rückendeckung lieferte für unendlich viele Mutmacher zum „kommenden Aufstand“, radikale „Gebrauchsanweisungen“ zum richtigen Leben im Falschen, Agitationsschriften wie das Gendermanifest „Fleischmarkt“ oder Pussy Riots „Punk-Gebet für die Freiheit“, und politische Analysen zum Zustand der kapitalistischen Welt.

Das Gesamtwerk Franz Jungs, Flugschriften, Krimis – noch ein Hit mit „Tannöd“ von Andrea Maria Schrader – und seit 1981 das „Meinungsblatt“ „Die Aktion“, das sich als „ Gegnerin der behäbigen Allianz von Kommerz und Lumperei“ versteht. Gerade 60 geworden, verstarb der unersetzliche Lutz Schulenburg am 1. Mai.

Quelle: Berliner Zeitung

22 Kommentare leave one →
  1. Zum Tode Lutz Schulenburgs: Ein radikaler Optimist // Einer der letzten Selbstdenker permalink
    3. Mai 2013 12:13

    Nachrufe Lutz Schulenburg
    Einer der letzten Selbstdenker
    Lutz Schulenburg, Verleger und Steuermann der Edition Nautilus, ist gestorben. Seine sperrige und widerspenstige Art wird fehlen.von Jochen Schimmang, http://www.taz.de/Nachruf-Lutz-Schulenburg/!115642/
    Vor zehn Tagen feierte er seinen 60. Geburtstag, in einer Rehaklinik in Mecklenburg. Alles schien auf einem sehr guten Weg zu sein, und Mitarbeiter wie Autoren freuten sich auf Lutz Schulenburgs baldige Rückkehr in die Edition Nautilus, die er zusammen mit Hanna Mittelstädt und Pierre Gallissaires in den siebziger Jahren gegründet hatte und die die dogmatischen Irrwege der Linken jener Zeit von Anfang an nicht mitmachte.
    Das lag ganz gewiss auch daran, dass Lutz Schulenburg selbst aus einer „echten“ Arbeiterfamilie in Hamburg-Bergedorf kam. Heute ist der Verlag längst aus der anfänglichen Nischenexistenz herausgetreten, und sein literarisches wie sein Sachbuchprogramm werden gleichermaßen geschätzt.
    Dazu haben vor allem das Durchhaltevermögen, das literarische Gespür und das verlagskaufmännische Geschick von Lutz und der „Crew“ der Nautilus beigetragen. Ich selbst war deshalb auch glücklich, vor fünf Jahren als Autor selbst an Bord gehen zu können.
    Nicht zuletzt wegen der durchaus sperrigen und widerspenstigen Gestalt des Verlegers. Lutz Schulenburg zeichnete sich vor allem durch eine Eigenschaft aus, die dringend gebraucht und doch schon Kindern möglichst ausgetrieben wird: Eigensinn. Er gehörte zur rar gestreuten Gattung der Selbstdenker, und man konnte sich mit ihm wunderbar streiten, ohne dass je auch nur eine Spur Rechthaberei dabei aufkam.
    Auf beiden Seiten nicht: Lutz war ein großartiger Zuhörer, und er war zugleich ein Vertreter der Verfertigung der Gedanken beim Reden und zwang einen deshalb selbst zum genauen Zuhören.
    Sein Eigensinn war jederzeit mit Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für den Anderen gepaart. Sein lakonischer – und manchmal auch sarkastischer – Humor war bekannt; ganz zutreffend hat ihn der Verlegerkollege Dietrich zu Klampen in seinem Börsenblatt-Glückwunsch zum Sechzigsten einen „fröhlichen Anarchisten“ genannt.
    Zusammen mit diesem fröhlichen Anarchisten, der am frühen Morgen des 1. Mai gestorben ist, hatten die Mitarbeiter der Edition Nautilus und alle Autorinnen und Autoren noch unendlich viel vor. Wie groß dieser Verlust ist, hat bis jetzt vermutlich noch keiner von uns wirklich begriffen.
    Er war wie sein Nautilus-Verlag – undogmatisch, radikal, libertär, neugierig. Mit Lutz Schulenburg ist ein Verleger gestorben, der zu einer seltenen Spezies gehörte: Er machte Bücher, weil er die Gesellschaft verändern wollte.

    ———————————

    Zum Tode Lutz Schulenburgs: Ein radikaler Optimist
    Von Christoph Twickel, spon http://www.spiegel.de/kultur/literatur/nachruf-auf-den-verleger-lutz-schulenburg-a-897839.html
    Er habe – kaum hat er seine Gedanken wieder halbwegs ordnen können – gleich vom Bett aus seinem Arzt den Kapitalismus erklärt und die Schwestern nach ihren Arbeitsbedingungen gefragt, schrieb Hanna Mittelstädt, Partnerin und Co-Verlegerin von Lutz Schulenburg, ein paar Tage nach der Hirnblutung und dem Schlaganfall, die ihn während der Leipziger Buchmesse im März ereilten – und an deren Folgen er am 1. Mai unerwartet gestorben ist.
    So erinnere ich Lutz Schulenburg auch: Als jemanden, der in jeder Lebenslage, bei jedem Anlass – und der beste Anlass ist natürlich ein gutes Buch, das er selbst verlegt hat – den Anwesenden erklärt, dass die Befreiung des Menschen aus selbst- und fremdverschuldeter Knechtschaft unbedingt angezeigt ist. Klingt nach Nervensäge? War er nicht. Er war ein charmanter, witziger, notorisch langhaariger und zauseliger Freigeist – und ein politischer Verleger im besten Sinne: Einer, der wusste, dass ein linker Verlag auch anderes machen muss, als Bücher zu politischer Ökonomie und linker Programmatik zu veröffentlichen.
    Aus dem politischen Aufbruch der späten sechziger Jahre – sein erster Verlag hieß zeittypisch „Materialien, Analysen, Dokumente“ – baute er gemeinsam mit Hanna Mittelstädt in den siebziger Jahren ein Programm auf, das gerade nicht programmatisch war. Schriften der Situationisten und Dadaisten fanden sich bei der Edition Nautilus, wie der Verlag später neu benannt wurde, ebenso wie Klassiker der anarchistischen Literatur, Autobiografien von Jacques Mesrine oder Charles Mingus oder die monumentale Durrutti-Biografie des spanischen Anarchisten Abel Paz.
    Knapp über dem Sozialhilfesatz
    Lutz Schulenburg war selbst Anarchist mit Leib und Seele. Er misstraute jedem Anspruch auf eine zentral organisierte politische Programmatik und jeder – auch linken – Form von politischer Bürokratie – und suchte gerade deshalb nach Bewegungen, Ideen, Projekten, die seiner libertären Vorstellung von Befreiung neue Nahrung geben konnten.
    In seinem Verlag erschienen Bewegungsbücher wie die globalisierungskritische Fibel „Wir sind überall“, die „Botschaft aus dem lakandonischen Urwald“ des zapatistischen Subcomandante Marcos, das postautonome Manifest „Der kommende Aufstand“, das 2010 zu einem Überraschungserfolg für den Verlag wurde oder das feministische Manifest „Fleischmarkt“ der jungen britischen Bloggerin Laurie Penny. Werke, die darauf verzichten, der Arbeiterklasse oder einer linken Bewegung den Weg weisen zu wollen und sich stattdessen damit auseinandersetzten, wie politische Selbstermächtigung heute funktionieren kann – oder Beispiele dafür gaben.
    Seine Leidenschaft galt dem historischen Erbe der anarchistischen Bewegungen – wovon etwa die Werkausgabe von Franz Jung oder die Autobiografien von Emma Goldman oder Errico Malatesta zeugen. Er war immer bereit, seinen kleinen, prekär wirtschaftenden Verlag ins Risiko zu reiten, wenn er überzeugt war, dass ein Buch einen Beitrag zur Emanzipation leistet. Eine solche Verlagsarbeit bedeutete, die Arbeit „um Verkaufserfolge herumorganisieren“ zu müssen, wie es die Nautilusse einmal treffend selbst formuliert haben. Als ich Lutz Schulenburg Anfang der Nullerjahre kennenlernte, residierte der Verlag in einer Wohnung an einer öden Fußgängerzone im Hamburger Vorort Bergedorf, in dem er 1953 auch geboren ist. Man hielt sich mit Einheitslöhnen knapp oberhalb des Sozialhilfesatzes und mit dem Verkauf des Geschenk-Dauerbrenners „Dinner for One“ über Wasser.
    2006 machten Schulenburg und Mittelstädt dann einen Glücksgriff: Sie waren die Einzigen, die sich für das Debüt der Krimiautorin Andrea Maria Schenkel interessierten. Der historische Roman „Tannöd“ wurde zum Sensationserfolg für Nautilus und hielt sich wochenlang in den Bestsellerlisten – ebenso wie der Nachfolger „Kalteis“. Beide Bücher brachten dem Verlag einen Kassenerfolg, den Schulenburg und Mittelstädt weder angestrebt noch geplant hatten. Er verführte sie auch keinesfalls dazu, die Edition Nautilus in Richtung Bestseller expandieren zu wollen. Stattdessen kauften die Verleger ein ehemaliges Fabrikgebäude in Hamburg-Bahrenfeld – und behandelten ihre Autorinnen und Autoren so egalitär wie eh und je: Statt Fünfsternehotels gab’s einen Pennplatz im eigenen Haus, und zum Verlagsempfang belegte das Kollektiv höchstpersönlich die Brote und rührte die Nudelsalate.
    Lutz Schulenburg war einer der wenigen sogenannten 68er, die weder mit den einst bekämpften Verhältnissen ihren Frieden – und dann Karriere – gemacht, noch sich verbittert von der Uneinsichtigkeit des Proletariats in eine der vielen linksradikalen Kritikaster-Ecken zurückgezogen haben. Stattdessen suchte er unermüdlich nach neuen sozialen Bewegungen und Ideen von Dissidenz – und nach Autoren, die sie uns erklären.
    Von den alten Zeiten geredet hat er wenig. Ganz im Gegenteil: Ihn interessierte ein Leben lang nur die neue Zeit. Er war ein radikaler Optimist: „Kapitalismus abschaffen!“ sollte der Titel der kommenden Ausgabe seiner Zeitschrift „Die Aktion“ lauten, die er seit 1981 unregelmäßig aber unermüdlich herausbrachte – in der Tradition der anarchistisch-expressionistischen „Aktion“, die Franz Pfemfert zwischen 1911 und 1932 verlegte. Nicht dass Lutz Schulenburg der Auffassung gewesen wäre, das Ende des Kapitalismus stünde kurz bevor. Aber er konnte sich eben einfach nicht vorstellen, dass die Menschheit eine so irrsinnige Gesellschaftsformation noch sehr viel länger zu tragen bereits sei. Und er wollte sich keinesfalls nachsagen lassen, er habe als Verleger nicht sein Möglichstes getan, um die geneigte Leserschaft einer neuen, besseren Gesellschaft näherzubringen. Lieber einmal mehr „Kapitalismus abschaffen!“ rufen. Lieber ein Manifest zu viel als eins zu wenig. Sein Verlagskollektiv bleibt und wird in seinem Sinne weitermachen. Doch Lutz Schulenburg wird ihm und uns furchtbar fehlen.
    Der Autor hat in Schulenburgs Verlag Edition Nautilus die Bücher „Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für Alle“ und „Hugo Chávez. Eine Biographie“ veröffentlicht – und war an zwei weiteren Nautilus-Titeln als Co-Autor bzw. Herausgeber beteiligt.

    • Dark Eyes permalink
      7. Mai 2013 17:30


      Bob Dylan & Patti Smith – Dark Eyes (1995) Live N.Y.

      Oh, the gentlemen are talking and the midnight moon is on the riverside
      They’re drinking up and walking and it is time for me to slide
      I live in another world where life and death are memorized
      Where the earth is strung with lovers’ pearls and all I see are dark eyes

      A cock is crowing far away and another soldier’s deep in prayer
      Some mother’s child has gone astray, she can’t find him anywhere
      But I can hear another drum beating for the dead that rise
      Whom nature’s beast fears as they come and all I see are dark eyes

      They tell me to be discreet for all intended purposes,
      They tell me revenge is sweet and from where they stand, I’m sure it is.
      But I feel nothing for their game where beauty goes unrecognized,
      All I feel is heat and flame and all I see are dark eyes.

      Oh, the French girl, she’s in paradise and a drunken man is at the wheel
      Hunger pays a heavy price to the falling gods of speed and steel
      Oh, time is short and the days are sweet and passion rules the arrow that flies
      A million faces at my feet but all I see are dark eyes

      Dark Eyes (by Bob Dylan)

    • Die Aktion Nr. 220 - Zum Gedenken an Lutz Schulenburg Die Ordnung des Profanen hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks permalink
      31. Juli 2013 18:50

      Die Aktion Nr. 220 – Die Ordnung des Profanen
      hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks
      Zum Gedenken an Lutz Schulenburg

      Originalveröffentlichung, Broschur, ca. 100 Seiten ca. € (D) 10,– ; € (A) 10,30

      ISBN 978-3-89401-759-0

      Erscheint Ende August 2013

      Die Aktion Nr. 220 – Die Ordnung des Profanen
      Inhalt
      Nach dem gänzlich unerwarteten Tod des Herausgebers dieser Zeitschrift, die seit 1981 erschienen ist, veröffentlichen wir zum Gedenken an Lutz Schulenburg eine letzte Ausgabe mit Nachrufen und Würdigungen dieses unbeugsamen Verlegers und Freundes.

      Mit Beiträgen von:
      Pierre Gallissaires, Thorwald Proll, Martin Dieckmann, Karen Nölle, Wolfgang Bortlik, Uta Brandes/Michael Erlhoff, Uli Becker, Sabine Peters, Corinna Sievers, Hans Schulz, Robert Brack, Hajo Steinert, Peter Laudenbach, Jürgen Schneider, Tobias Gohlis, Manfred Ach, Egon Günther, Olaf Arndt, Abbas Khider, Jochen Schimmang, Annett Gröschner u.v.a.

      Zusammengestellt und herausgegeben von Hanna Mittelstädt

    • leider (wieder) eine linke Buchhandlung weniger: NAUTILUS Buchhandlung 1978 - 2013 permalink
      12. August 2013 17:48

      auf der website lesen wir…

      Liebe Kundschaft!
      Am 30.06.2013 haben wir unsere Buchhandlung geschlossen.

      35 Jahre lang haben wir zuverlässig für steten Nachschub an schöngeistiger Literatur und politischem Sachbuch aus der
      ganzen Welt gesorgt. Das besondere Kinderbuchsortiment haben wir gepflegt, für alle Jahrgänge von ‚1 bis 99‘.
      Mitten in Hamburg-Ottensen waren wir eine unabhängige und engagierte Buchhandlung. Als solche möchten wir Euch in Erinnerung bleiben.

      ‚Wir standen für was‘ – danke, Sonny.

      Danke Euch Allen!

      Renate Fink & Thorwald Proll

      see here: http://www.nautilus-buchhandlung.de/home.html

      Sehr schade! Hier gab es mal ganz umsonst, ein Lachen, ein Plakat, ein Gespräch.
      Und viele interessante Bücher und belesene, aufmerksame Buchhändler!

      • Der Kopffüßler hält durch permalink
        15. Oktober 2013 19:47

        Schulenburg-Verlag macht weiter

        Der Kopffüßler hält durch

        Nach dem überraschenden Tod des Verlegers Lutz Schulenburg geht die Arbeit in Hamburg-Bahrenfeld weiter – wie bisher und doch ganz anders. Denn mit Schulenburg hat man im Mai dieses Jahres einen verloren, der Funken schlug
        http://www.taz.de/!123011/

  2. RIP permalink
    3. Mai 2013 12:15

    Ein Gespräch zum Tode des Verlegers Lutz Schulenburg

    [audio src="http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/05/02/dlf_20130502_1610_5f4cbe8e.mp3" /]
    (Ob “Attila Eisenherz” über das Attribut “freundlich” begeistert wäre?)

    Politischer Verleger: Lutz Schulenburg gestorben
    http://www.spiegel.de/kultur/literatur/edition-nautilus-lutz-schulenburg-ist-tot-a-897712.html

    Tod eines freundlichen Anarchisten (FR)

    http://www.fr-online.de/kultur/verleger-lutz-schulenburg-tod-eines-freundlichen-anarchisten,1472786,22663998.html

    Die Edition Nautilus zum Tod von Lutz Schulenburg

    https://www.facebook.com/edition.nautilus

    http://www.edition-nautilus.de/news/news.html

  3. Verlag Assoziation A zu Lutz Tod permalink
    3. Mai 2013 12:30

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    liebe Freundinnen und Freunde,

    heute Morgen bekamen wir von Hanna Mittelstädt von der Edition Nautilus die traurige Nachricht, dass unser großartiger Freund und Verlegerkollege Lutz Schulenburg am 1. Mai gestorben ist.
    Wir teilten mit ihm die libertäre Geisteshaltung, das emanzipatorische Interesse, den rebellischen Impuls – und beneideten ihn als alte Hippies um die lange Haartracht. Wir teilten gemeinsame Leidenschaften, begeisterten uns zum Teil für dieselben Autoren – wie zum Beispiel Paco Ignacio Taibo oder den Subcomandante Marcos – und fühlten uns in gleicher Weise den sozialen Basisbewegungen verbunden.
    Wir haben die Zusammenarbeit mit ihm in der buchkoop konterbande sehr genossen. Seine Eigenwilligkeit, seine spontanen Ideen, sein Witz und seine Unbeugsamkeit gegenüber den herrschenden Verhältnissen und dem gesellschaftlichen Mainstream haben uns beeindruckt. Seine Solidarität und sein freundschaftlicher Rat als Kollege waren uns wertvoll.
    Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust, seinem Engagement fühlen wir uns verpflichtet. In Gedanken sind wir bei allen Nautilüssen, die den Verlag in seiner Tradition fortsetzen werden. Ihr Rundschreiben sowie eine treffende biografische Skizze nebst einem Verlagsporträt leiten wir gerne weiter.

    Mit herzlichen Grüßen
    Theo Bruns & Rainer Wendling

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    liebe Freundinnen und Freunde der Edition Nautilus,

    heute haben wir die traurige Nachricht zu überbringen, dass unser Verleger Lutz Schulenburg gestern, am 1. Mai 2013, nach kurzer schwerer Krankheit verstorben ist. Seit nahezu vierzig Jahren war Lutz Schulenburg als Verleger der Edition Nautilus eine feste, wenn auch subversive Größe in der Verlagswelt. Er wird fehlen.
    Am 21. April 1953 in der Hamburger Vorstadt Bergedorf als zweites von drei Kindern geboren und in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, war er bereits mit 14 Jahren aktiv in der örtlichen sozialistischen Schüler- und APO-Gruppe. Die Schule brach er ab, ebenso eine Lehre als Dekorateur – doch seit der Lehrzeit ist er aktiv in der anarchistischen Bewegung, was ihm sogar einen Ausschluss aus der Gewerkschaft eintrug und ihn in der nach-68er-Zeit mit Pierre Gallissaires zusammenbrachte, mit dem er 1971 die anarchistische Theorie-Zeitschrift MAD (später umbenannt in Revolte!) gründete. Es folgte eine zweite, inoffizielle Lehrzeit, diesmal in Sachen Verlagsbuchhandel, beim Spartacus Buchvertrieb im Keller unter dem Abaton-Kino in Hamburg. 1972 begann das Trio Schulenburg, Gallissaires und Hanna Mittelstädt mit der Buchproduktion, am 1. April 1974 wurde ein Gewerbeschein beantragt für den MAD-Verlag, der 1976 aus juristischen Gründen in Edition Nautilus umbenannt wurde. Als Verleger b
    ewies er immer wieder das richtige Gespür für Perlen im Büchermeer.
    Im Anhang finden Sie eine kurze Biografie und Verlagsgeschichte.

    Traurig grüßt die Crew der Edition Nautilus

    Kurzer biographischer Abriss: Lutz Schulenburg
    Geboren 1953 in Hamburg Bergedorf; aufgewachsen, als zweites von drei Kindern, in einer Arbeiterfamilie. Glückliche Kindheit in den Straßen, den Schrottplätzen und Brachflächen der Vorstadt. Als leistungsschwacher Schüler die Pädagogik-Anstalt als düsteren Ort autoritärer Demütigung erlebt.
    Ab Mitte 1968 aktiv in der örtlichen sozialistischen Schülergruppe (AUSS) und der APOGruppe Bergedorf (Demokratisches Zentrum). Lernte dort neben vielen wunderbaren (+ wunderlichen) Menschen im »AK Reproduktion« die spätere Krimi-Autorin Doris Gercke kennen.
    Ende 1969, beim Versuch, nach Kuba zu kommen, in München gestrandet. Einige Wochen im linken Milieu unterwegs, unter Trebegängern, Gammlern, Ausreißern aus Heimen, rebellischen Schülern usw. Mit Hilfsjobs über Wasser gehalten (Verkauf der Abendzeitung, Hilfsarbeit auf einen Schrottplatz und in einer Wäscherei).
    Nach einer großen Polizeirazzia als »Streunender Jugendlicher« kurzzeitig in »Stadelheim« und dem Jugendarrest »Schwere Reiterstraße«. Rückführung in die »Elterliche Obhut«. Entlassung aus der Schule wg. »unentschuldigter Abwesenheit«. Beginn einer Lehre als Dekorateur.
    Seit der Lehrzeit aktiv in der anarchistischen Bewegung; als gewerkschaftlicher Jugendvertreter wg. anarchistischer Umtriebe unter den Mitgliedern des Ortsverbandes und im Zuge der Agitation unter den Lehrlingen verschiedener Hamburger Kaufhäuser. Ausschluss aus der Gewerkschaft durch die gewerkschaftliche Bürokratie.
    Kriegsdienstverweigerung, Anerkennung erst nach förmlicher Gerichtsverhandlung; Ableistung des Zwangsdienstes im Sozialamt Hamburg-Barmbek. Vorzeitige Entlassung wg. Leistungs-Sabotage.
    1971: Zusammen mit Pierre Gallissaires Gründung einer anarchistischen Theorie-Zeitschrift (»MAD – Materialien, Dokumente, Analysen«); später umbenannt in »Revolte!«.
    Als Mitglied der deutschsprachigen Delegation zum »Anarchistischen Weltkongress« 1971 in Paris (zugleich Erinnerung an 100 Jahre Commune, 50 Jahre Kronstadt). Anschließend Teilnahme mit Hamburger Genossen an der Kampagne für »Freie Strände« in Südfrankreich, Kollektive Ausweisung durch den regionalen Präfekten. Nach Genf ins CIRA (Centre international de recherche sur l’anarchisme).
    1972 /1973: Nach Hilfsjob bei der Post eine zweite »Lehrzeit« in Sachen Verlag-Buchhandel im »Spartakus Buchvertrieb« / Association Verlag, in Hamburg, im Keller unter dem Abaton-Kino. Ab 1972 dank des Hinzukommens von Hanna Mittelstädt Beginn der Buchproduktion; zunächst als MAD-Verlag, ab 1976 Umbenennung des Verlags (aus juristischen Gründen) in Edition Nautilus.
    Seither als Verleger und Herausgeber (u.a. Zeitschrift »Die Aktion«) in Hamburg tätig. 2009 Umzug von Verlag + Wohnung von Bergedorf nach Bahrenfeld in Hamburg-Altona.

    Verlagsporträt: Edition Nautilus
    Am 1. April 2009 feierte die Edition Nautilus Geburtstag: 35 Jahre beweglich im Büchermeer – und noch nicht ein Mal untergegangen. Jahrzehntelang gelang das ohne finanzielle Absicherung, während vieler kleineren und größeren Krisen. Seit dem überraschenden Erfolg mit dem Krimi-Debüt »Tannöd« von Andrea Maria Schenkel engagieren wir uns nicht weniger, aber entspannter, um aus dem Meer an Manuskripten und Ideen immer wieder Perlen herauszufischen.
    Über ihr politisches Engagement sind Hanna Mittelstädt, Lutz Schulenburg und Pierre Gallissaires vor mehr als 30 Jahren mehr zufällig als absichtsvoll in die Verlegerei hineingerutscht: zunächst durch die Herausgabe einer Zeitschrift und diverser Flugschriften unter dem Label »MAD-Verlag, Materialien, Analysen, Dokumente«, der sich nach einer Klage des gleichnamigen Satireblatts in Edition Nautilus umbenannte. »Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text.« Getreu dieser Devise wurden neben Schriften der Anarchisten und Situationisten auch solche der Dadaisten und Surrealisten veröffentlicht.
    Bald fanden auch die ersten Autobiografien, u.a. von Jacques Mesrine, Charles Mingus, Billie Holiday und Franz Jung, sowie unerschrockene Prosa junger Autoren wie Franz Dobler, Ingvar Ambjørnsen, Anna Rheinsberg und Sean McGuffin Eingang ins Programm. Parallel dazu wurde die Werkausgabe von Franz Jung in Angriff genommen und 1997, nach 16 Jahren und zwölf Bänden, vollendet. Diese förderungsfreie Edition ging sehr zu Lasten der Verlagsökonomie aus, die in der Edition Nautilus stets um einige wenige Verkaufserfolge herum organisiert werden muss, etliche Jahre lang etwa um den zweisprachigen Silvester-Dauerbrenner »Dinner for one«, der inzwischen neben dem Original in sechs regionalen Bearbeitungen lieferbar ist. Nicht ganz so erfolgreich, aber ebenso unverzichtbar ist »Die Aktion«, eine der letzten streitbaren Zeitschriften für Politik, Literatur und Kunst.
    Als »gut gelaunt und ein bisschen anarchistisch« charakterisierte der Reporter des Bergedorfer Wochenblatts das Verlagskollektiv, das nach der Veröffentlichung dreier Bücher von Karl-Eduard von Schnitzler plötzlich auch der Lokalpresse ein Porträt wert war. Diese absichtsvolle programmatische Grenzverletzung, keineswegs die erste im Lauf der Verlagsgeschichte, ermöglichte u.a. die Herausgabe von Abel Paz‘ großer Durruti-Biografie.
    Ein erfreulich zahlreiches Lesepublikum eroberten auch die Bücher von Wiglaf Droste, Subcomandante Marcos, Inge Viett, Paco Ignacio Taibo II, vor allem seine Che-Guevara-Biografie, sowie einige Titel aus der »Kleinen Bücherei für Hand und Kopf«, inzwischen auf 60 Bände angewachsen, etwa die Grotesken von Kurt Schwitters oder die Aphorismen von Francis Picabia. Dessen Aphorismus »Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann« gibt nach wie vor ein zuverlässiges Verlagsmotto ab.
    Im März 2004 wurde der Edition Nautilus auf der Leipziger Buchmesse der Kurt-Wolff-Preis überreicht. Sie wurde damit für ihr anspruchsvolles literarisches Programm, für ihre Künstlerbiografien und die Herausgabe der Franz Jung Werke geehrt. Der Verlag erhielt für sein außergewöhnliches Programm außerdem zweimal den Verlagspreis der Freien und Hansestadt Hamburg (Kulturbehörde) 1993 und 2002.
    Im neuen Jahrtausend konnte das Nautilus-Programm die Folge der Roten Ziegel um zwei Kompendien der Basisbewegungen erweitern: »Wir sind überall – weltweit. unwiderstehlich.
    antikapitalistisch« und den berühmten Wälzer von Horst Stowasser »Anarchie«. Mit Michael Warschawski und Mahmood Mamdani holte die Edition Nautilus zwei hochkarätige internationale Kritiker an Bord. Beiträge zur Zeitgeschichte der BRD liefern u.a. die Zeugnisse ehemaliger Protagonisten des bewaffneten Kampfes: Karl-Heinz Dellwo, Inge Viett, Gabriele Rollnik.
    Die Krimisparte des Programms wurde einst begründet mit der »Schwarzen Trilogie« Léo Malets und dann durch Ingvar Ambjørnsen und Robert Brack vielseitig fortgesetzt. Vor einigen Jahren startete die handliche Kleinformatreihe Kaliber .64, in der namenhafte Autoren wie Friedrich Ani, Frank Göhre, Susanne Mischke und andere Kleinode des Genres präsentieren. Und ein Krimi war es auch, der dem Verlag dann seinen zahlenmäßig bisher größten Erfolg einbrachte.
    Eines Tages bot Andrea Maria Schenkel ihr Manuskript »Tannöd« zur Publikation an. Der Krimi überzeugte das Verlagsteam, wurde kostendeckend kalkuliert und erschien im Februar 2006 in einer Auflage von 2800 Exemplaren. Das Risiko sollte gering bleiben, schließlich hatte noch nie jemand etwas von der Autorin gehört. Das sollte sich schnell ändern. Das Krimidebüt von Andrea Maria Schenkel zog weite Kreise, und ein Jahr nach der Veröffentlichung landete es auf der Spiegelbestseller-Liste, wo es wochenlang Platz 1 besetzte, bis ihr zweiter Krimi, »Kalteis«, ihn auf Platz 2 verdrängte. Für beide Krimis wurde sie mehrfach ausgezeichnet, und »Tannöd« wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt.
    Durch diesen fast märchenhaften Erfolg konnte das inzwischen gewachsene Verlagsteam aus den drei Büroräumen über einer Einkaufspassage in der Bergedorfer Fußgängerzone in ein ehemaliges Fabrikgebäude in Hamburg-Bahrenfeld ziehen. Hier werden jetzt die Autoren Abbas Khider, Jochen Schimmang und Ingvar Ambjørnsen gepflegt, das Flugschriftenformat widmet sich internationalen Themen zur gesellschaftlichen Krise (Paul Mattick, Boris Kagarlitzki …). Erfolgreiche Kreise zogen die Bücher »Fleischmarkt« von Laurie Penny und »Pussy Riot!« mit Texten der gleichnamigen Punk-Band, und besonders kontrovers diskutiert wurde »Der Kommende Aufstand« des Unsichtbaren Komitees.
    Unsere aktuell wichtigsten Krimiautoren sind Matthias Wittekindt mit »Schneeschwestern« und »Marmormänner« sowie Robert Brack mit seiner Trilogie über die Journalistin Klara Schindler, deren letzter Ermittlungsauftrag die Aufklärung des Reichtagsbrands in Berlin 1933 war.
    Alle Kraft voraus arbeiten wir seit fast 40 Jahren an unserem Programm, das sich darin treu geblieben ist: es ist unkonventionell, eigenwillig und kämpferisch.

  4. Ein Nachruf von Rainer Nitsche Lutz Schulenburg, Verleger und Freund permalink
    3. Mai 2013 13:09

    http://www.boersenblatt.net/605894/
    Ein Nachruf von Rainer Nitsche
    Lutz Schulenburg, Verleger und Freund

    Am 1. Mai ist der Mitbegründer und Verleger der Edition Nautilus, Lutz Schulenburg, im Alter von 60 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Ein Nachruf von seinem Kollegen und Freund Rainer Nitsche (Transit Verlag).

    Lutz Schulenburg war kein Mensch, dessen Bekanntschaft einem oberflächlich zuflog, so zwischen zwei Messeparties, „Wir sehen uns“ oder „Hallöchen“. Er war zurückhaltend, nicht unbedingt skeptisch, aber norddeutsch reserviert. Sein hamburgisch-bergedorfer Akzent hatte etwas Bodenständiges, Trotziges, jeder Sprach- oder Feuilletonmode abhold. Und in diesem zunächst provinziell anmutenden Akzent konnte er mit Namen und Begriffen aus der anarchistischen, subversiven Geschichte ganzer Jahrhunderte und Kontinente jonglieren, dass einem schwindelig wurde. Tatsächlich blieben Anarchisten, seien sie aus Australien oder Nordschottland, aus den russischen Steppen oder den bayrischen Hochebenen, …

  5. Anonymous permalink
    3. Mai 2013 14:44

    R.I.P.
    (vielleicht wird der Nautilus-Verlag ja jetzt dann ein Kollektivbetrieb….)

  6. G. Grüneklee permalink
    3. Mai 2013 20:15

    Wir sind fassungslos und tief erschüttert.

    „Der Tod, so gewiss er auch ist, bleibt dennoch eine Schweinerei“, sagte
    Lutz auf seiner Trauerrede am Grab von Horst Stowasser, der 2009
    ebenfalls plötzlich und viel zu jung, im Alter von nur 58 Jahren, verstarb.

    „Wieder einer weniger“, der lakonische Kommentar eines Kollegen macht
    die Hilflosigkeit und Traurigkeit gegenüber dem Tod eines Menschen
    deutlich, der viele Personen nachhaltig beeindruckte und durch seine
    Publikationen viele Anstösse gab.

    Wie viele seiner Generation war Lutz jemand, der auf Abschlüsse nichts
    gab und seinen Elan stattdessen in die revolutionären Bewegungen von ´68
    an einbrachte. Er war Libertärer durch und durch, ein Autodidakt in
    vielem, ein beeindruckend gebildeter Mensch, der mitreissend formulieren
    konnte, auch wenn die Wendungen bisweilen holperten. Man spürte, dass er
    voller Tatendrang an der Tastatur saß – was allemal überzeugender ist
    als das Beharren auf formal „korrekten“ Sätzen.

    Als „fröhlichen Anarchisten“ bezeichnete die „taz“ Lutz in ihrem
    Nachruf, und als „einen der letzten Selbstdenker“ („Bücher zum
    Selberdenken“ war übrigens auch ein Motto unseres 2000-2006 bestehenden
    Buchladens). Und wenn der Anarchismus es derzeit bis in die bürgerlichen
    Feuilletons schafft, so sei daran erinnert, dass Lutz die schwarze Fahne
    der Anarchie auch in Zeiten hochhielt, als dies weniger opportun war –
    freilich auf eine angenehm unverbohrte Weise, voller Lebenslust und
    Widerspruchsgeist.

    Ja, Lutz war oft eigensinnig bis zur Starrsinnigkeit, sichtbar etwa an
    der Verve, mit der er die Werke des immer noch viel zu unbekannten Franz
    Jung verlegte. Noch zu Beginn des Jahres wurde von der Edition Nautilus
    das „Jahr der Nautilus-Jubiläen“ ausgerufen, in dem auch Jung´s vor 100
    Jahren erstmals publiziertes „Trottelbuch“ erneut erschien.
    „Herumtreiber“ und Aktivist, der Jung war, hat er Lutz – zunächst
    physisch, später geistig ebenfalls ein „Herumtreiber“ und Unbeirrbarer –
    offenkundig stark beeindruckt. Der Autor, der nicht durch sein Werk
    erkennbar ist, taugt nichts, meinte der Schriftsteller B. Traven.
    Übertragen auf Verlage haben wir hier somit den Nachweis, das Nautilus
    und Lutz eine sehr taugliche Symbiose ergaben.

    Lutz, der Unbeugsame, der Neues entdecken konnte ohne die linksradikale
    Geschichte und die auch eigenen Wurzeln zu vergessen, machte uns Jüngere
    auch mit der situationistischen Literatur bekannt, etwa dem „Handbuch
    der Lebenskunst für die jungen Generationen“ Raoul Vaneigems.

    Jahrelang war der Verlag ein finanzielles Wagnis, nicht zuletzt aufgrund
    von Lutz´ Herzensprojekten, die in Feuilletons erfolgreicher waren als
    in Verkaufszahlen. Der Impetus der radikalen Gesellschaftskritik, der
    Revolte, war hier stets spürbar. „Nicht neuer Kontinente bedarf es,
    sondern neuer Menschen“, so liess es der Verlag programmatisch auf
    Postkarten und Plakaten den U-Boot-Kapitän Nemo aus dem Roman von Jules
    Verne verkünden – das Plakat zierte jahrelang auch unser Bücherlager,
    die Postkarte habe ich bis heute täglich vor Augen.

    Die Beharrlichkeit war nach drei Jahrzehnten Verlagsarbeit zunehmend
    erfolgreich, und so zog der Verlag nach und nach auch prominentere
    zeitgenössische Autoren ins Boot. Aber nur die, hinter denen der Verlag
    stand. Auf unsere skeptische Nachfrage vor ein paar Wochen auf der
    Leipziger Buchmesse, ob David Graber denn wirklich so originell sei, hob
    Lutz den Wert von Büchern wie „Direkte Aktion“ gerade für die jüngere
    Generation hervor.

    „Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text“
    wird Lutz im Nachruf des Deutschlandfunk zitiert – die von ihm
    herausgegebene Zeitschrift „Die Aktion – Zeitschrift für Politik,
    Kultur, Kunst“, Hommagé an die gleichnamige Zeitschrift des
    Expressionisten Franz Pfemfert, blieb gewiss ein Zuschussprojekt,
    unterstreicht diese Aussage jedoch vortrefflich. Auch schöne
    dadaistische Traktate brachte Nautilus uns näher.

    Den norwegischen Autor Ingvar Ambjörnsen hätten wir, wie noch eine Menge
    anderen Lesestoff, ohne Nautilus vielleicht nie entdeckt. Noch vor ein
    paar Monaten appellierte er „auch wenn Anarchisten nicht wählen,
    solltest Du eine Ausnahme machen“, als es darum ging, Ingvars Roman „Den
    Oridongo hinauf“ in die Hotlist der unabhängigen Verlage zu wählen.

    So könnten wir noch eine Weile weitermachen. „Hast Du mit Nautilus ein
    Abkommen geschlossen?“ fragte mich vor zwei Wochen noch frotzelnd ein
    Kollege, als ich den neuen Anares-Newsletter verfasste – erst da wurde
    mir deutlich, dass kein anderer Verlag in unseren Buchempfehlungen so
    regelmässig vertreten war.

    Wir haben Lutz viel zu verdanken, als Menschen und als jemanden, der die
    „Software fürs Hirn“ in Form wichtiger Bücher bereitstellte, an seiner
    Seite die langjährige Weggefährtin Hanna Mittelstädt, ohne die, das darf
    nicht vergessen werden, der Verlag nicht geworden wäre, was er wurde.
    Ihr gilt unser tiefes Mitgefühl.

    „Niemand ist unersetzbar“, dieser Ausspruch ist ebenso oberflächlich wie
    falsch: Doch, Lutz hinterlässt eine Lücke.

    Lutz Schulenburg, Zeit seines politisch bewussten Lebens auf der Seite
    der linksradikalen und subversiven Bewegungen, starb kurz nach seinem
    60. Geburtstag am internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung (von den
    Nazis in einen bräsigen Feiertag, den „Tag der nationalen Arbeit“,
    umgewidmet).

    „Schöne Scheisse. Aber das Datum hätte er sich nicht besser aussuchen
    können“ (Sean McGuffin).

    Gerald Grüneklee

  7. Granado permalink
    4. Mai 2013 09:23

    http://www.jungewelt.de/2013/05-04/013.php?print=1
    04.05.2013 / Feuilleton / Seite 13
    »Das Leben und die Welt verändern«
    Gegen Kommerz und Lumperei: Zum Tod von Lutz Schulenburg
    Jürgen Schneider

  8. Traueranzeige Lutz Schulenburg von Edition Nautilus permalink
    4. Mai 2013 18:53

  9. Gespräch mit Hanna Mittelstädt im April 2013 in Hamburg: Vorne und nicht zerbrechen - Lutz Schulenburg wird 60 (SB) permalink
    5. Mai 2013 16:18

    http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrv0001.html

    Fast 40 Jahre verlegerisches Engagement in der Edition Nautilus und ein sozialrevolutionär bewegtes Leben im Spektrum zwischen libertären und linken Positionen – Lutz Schulenburg hat an seinem 60. Geburtstag keinen Grund, versäumten Gelegenheiten nachzutrauern oder mit Bedauern zurückzuschauen. Großgeworden im Aufbruch der 60er Jahre und stets daran interessiert, den Geist der sozialen Utopie zu verbreiten und den Mut zur gesellschaftli-

    chen Veränderung zu nähren, ist seine Handschrift im verlegerischen Profil des Nautilus-Verlages unübersehbar. Das gleiche gilt für Hanna Mittelstädt, die seit 1972 gemeinsam mit Lutz Schulenburg die Geschicke des Verlages lenkt. Bei einem Besuch in dessen Geschäftsräumen in Hamburg-Ottensen beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zur persönlichen Geschichte ihres langjährigen Arbeitspartners und zu den politischen Kriterien, die die verlegerische Arbeit in diesem traditionsreichen Haus der bundesrepublikanischen Linken bestimmen.

    Schattenblick: Hanna, könntest du uns etwas zum familiären Hintergrund von Lutz Schulenberg erzählen?

  10. Immer die Nase im Wind permalink
    6. Mai 2013 22:28

    Nachruf auf Lutz Schulenburg, Verleger der Edition Nautilus. Von Tobias Gohlis.

    Er hatte immer ein Päckchen Tabak und einen Stift in der Brusttasche. Die Drahtbrille, durch die er unternehmungslustig, amüsiert und provokant in die Welt guckte – he, wo ist die nächste Herausforderung – und die weiß gewordenen langen Haare waren sein Erkennungszeichen: Lutz Schulenburg, Verleger, seit vierzig Jahren unterwegs im Büchermeer. Buchmessen machten ihm immer Kopfschmerzen. Auch in diesem Jahr dachte er, aus der Leipziger Hektik zurück in der Hamburger Wohnung, die Schmerzen würden nach einem guten Schlaf schon abklingen.

    Dann der Notarzt, die stundenlange Operation: Gehirnblutung, Schlaganfall. Doch schon wenige Tage später schrieb Gefährtin Hanna Mittelstädt an die Freunde: „Jetzt mal eine gute Meldung: Lutz war gestern zu umfangreichen Nachuntersuchungen im Krankenhaus und heute bei einem Neurologen: es scheint jetzt keine weiteren Komplikationen zu geben, das Gehirn scheint stabil.“ Umso erschütternder ihre Nachricht vom 2. Mai: „Lutz hat es doch leider nicht geschafft, am Leben zu bleiben. Er ist am 1.Mai frühmorgens gestorben.“ Wenige Tage zuvor, zum 21. April, hatte sie eine Kurzbiographie zu Lutz’ sechzigstem Geburtstag herumgeschickt, voller Hoffnung.

    Mit Lutz Schulenburg hat uns ein großer Verleger verlassen, ein tapferer und aufrechter Mann, wie es ihn selten gibt.
    Als ich 1988 nach Hamburg kam, war die Edition Nautilus eine der ersten Adressen, die mir genannt wurden: als Anlaufstelle für Besonderes. Nach meinem ersten Besuch in der Bergedorfer Verlagsbehausung – ich erinnere mich an durchhängende Regalbretter, Schreibtische aus Türblättern, Bücherkisten, Umzugskartons und eine überwältigende Freundlichkeit für den hereingeschneiten Gast – zog ich reich beschenkt davon mit einem Stapel der schönsten Bücher, die es damals gab: die „Kleine Bücherei für Hand und Kopf“.

    Das, was die Insel-Bücherei nach dem Ersten Weltkrieg war, ein Vademecum für Sinn und Verstand, war diese inzwischen auf 60 Bände angewachsene Reihe für die 80er und 90er Jahre: intellektuelle Sprengsätze gegen Behäbigkeit, klein genug, um sie in der Brusttasche nah am Herzen zu tragen. Es waren Texte und Bilder einer noch
    http://culturmag.de/litmag/lutz-schulenburg-ist-tot/70264

  11. Senor permalink
    8. Mai 2013 15:37

    Senor (Tales of Yankee Power) – by Bob Dylan

    Señor, señor, do you know where we’re headin’?
    Lincoln County Road or Armageddon?
    Seems like I been down this way before
    Is there any truth in that, señor?

    Señor, señor, do you know where she is hidin’?
    How long are we gonna be ridin’?
    How long must I keep my eyes glued to the door?
    Will there be any comfort there, señor?

    There’s a wicked wind still blowin’ on that upper deck
    There’s an iron cross still hangin‘ down from around her neck
    There’s a marchin’ band still playin’ in that vacant lot
    Where she held me in her arms one time and said, “Forget me not”

    Señor, señor, I can see that painted wagon
    I can smell the tail of the dragon
    Can’t stand the suspense anymore
    Can you tell me who to contact here, señor?

    Well, the last thing I remember before I stripped and kneeled
    Was that trainload of fools bogged down in a magnetic field
    A gypsy with a broken flag and a flashing ring
    Said, “Son, this ain’t a dream no more, it’s the real thing”

    Señor, señor, you know their hearts is as hard as leather
    Well, give me a minute, let me get it together
    I just gotta pick myself up off the floor
    I’m ready when you are, señor

    Señor, señor, let’s disconnect these cables
    Overturn these tables
    This place don’t make sense to me no more
    Can you tell me what we’re waiting for, señor?

  12. Auf dem Heimweg wirds hell permalink
    9. Mai 2013 09:15

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