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Interview mit irakisch-kurdischen Anarchisten – deutsch Teil 1

8. März 2010

Auf Indymedia wurde vor kurzem ein Interview mit irakisch-kurdischen Anarchisten in englischer Sprache publiziert. Eine solidarische Seele hat sich daran gemacht und den ersten Teil des Interviews ins deutsche übersetzt. Wir veröffentlichen diesen ersten Teil auf Syndikalismus.tk und hoffen den übersetzten Zweiten bald nachreichen zu können. Vielen Dank an den/die ÜbersetzerIn für die Arbeit! Das Interview erschien zuerst auf der spanischsprachigen Webseite “A las Barricadas”.

Interview mit irakisch-kurdischen Anarchisten

Um die kurdische Problematik besser zu verstehen, haben wir uns mit einer Gruppe irakischer Emigranten in Verbindung gesetzt. Genauer gesagt mit irakischen Kurden, die in Europa leben und eine anarchistische Gruppe gebildet haben, das Kurdistan Anarchist Forum[1]. Am Anfang dachten wir, wir hätten es mit Leuten aus Türkei-Kurdistan zu tun.

ALB [A Las Barricadas]: Woher kommt ihr und wo lebt ihr jetzt? In Kurdistan oder im Exil, oder seid ihr in andere Teile der Türkei oder andere Länder ausgewandert?

KAF [Kurdistan Anarchist Forum]: Wir leben in verschiedenen Ländern Europas: Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Schweden. Wir sind Kurden, aber ursprünglich kommen wir aus dem Irak, nicht aus der Türkei. Wir sind alle zu verschiedenen Zeiten nach Europa gekommen, aber alle aus politischen Gründen.

ALB: Wie seid ihr Anarchisten geworden? Gibt es noch mehr anarchistische Kurden? Hat das eine lange Tradition? Ordnet ihr euch einer bestimmten Tendenz zu (Anarchokommunismus, Insurrektionismus, Syndikalismus, Ökoanarchismus etc.)?

KAF: Wir kommen aus verschiedenen linken Organisationen, z.B. den von Russland oder China kontrollierten kommunistischen Parteien und anderen bolschewistischen Organisationen. Anarchisten sind wir auf die harte Tour geworden, auf Umwegen über Strömungen wie Maoismus, Stalinismus, Marxismus-Leninismus. In diesen Bewegungen haben sich unsere Ideen und unser Handeln allmählich verändert. Als diese Kämpfe dann scheiterten, haben wir uns umorientiert. Schließlich haben wir festgestellt, dass der Anarchismus der einzige Weg zu einer angemessenen Befreiung der Menschen ist. Das meinen wir mit „auf die harte Tour“.  Wir wissen nichts von kurdischen anarchistischen Gruppen, Organisationen oder Parteien, aber das heißt nicht, dass es nicht anarchistische Einzelpersonen gibt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die irakische Gesellschaft zu der Zeit fast wie in einem Gefängnis lebte, dass die ganze Gesellschaft der Unterdrückung und Repression des Regimes ausgesetzt war. Die einzigen Bücher und Infomaterialien, die es in diesen Jahren gab, waren die von der KP, aus Russland. Wie ihr wisst, widersprechen diese Ideen den anarchistischen, und die ganze Propaganda war gegen sie gerichtet. Soweit wir uns erinnern, gab es im Irak keine anarchistischen Bücher außer einem von Joseph Proudhon, und das gab es nur deswegen, weil Marx die politischen, philosophischen und ökonomischen Gedanken Proudhons zurückgewiesen hat. Namen und Terminologien sind uns nicht sehr wichtig. Was uns wichtig scheint, ist, lokale Gruppen zu gründen und uns national und international mit anderen Gruppen zu verknüpfen. Wir freuen uns über Verbindungen zu allen Arten von anarchistischen Menschen und Gruppen, solange es uns nicht an unserer Arbeit und unserem Kampf gegen das herrschende System und seine Repräsentanten (Staat und Multis) hindert. Wir stehen aber schon dem Anarchosyndikalismus und dem Anarchokommunismus nahe.

ALB: Unterstützt ihr die nationale Befreiung oder Selbstbestimmung des kurdischen Volkes? Ich meine nicht unbedingt einen kurdischen Staat.

KAF: Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit. Wir sind gegen jede Ausbeutung und Diskriminierung, egal ob über Sexismus, Rassismus, Nationalität oder Religion. Wir kämpfen für eine anarchistische Gesellschaft ohne jede Art von Ausbeutung mit gleichen Rechten und Pflichten für alle. Wir unterstützen aber keinen Staat, egal welchen, und wir würden uns an nichts beteiligen, das die Schaffung eines Staates zum Ziel hat. Was wir aber befürworten, ist das Aufbrechen der Zentralisierung des Staates.

ALB: Was habt ihr für ein Verhältnis zu türkischen Anarchisten? Habt ihr Kontakt zu einer bestimmten Gruppe?

KAF: Wir haben Kontakt zur schweizer Gruppe Karakök Otonomu Türkiye/Isvicre[2]. Auch zu einer anderen kurdischen anarchistischen Gruppe, die eher anarchokommunistisch ausgerichtet ist. Wir haben auch Kontakt zu anarchistischen Gruppen aus Jordanien (Jordanian-anarchists[3]) und dem Iran (Anarchist Geography), aber in der Praxis fühlen wir uns ihnen aus verschiedenen Gründen nicht nahe.

ALB: Zur Kurdenbewegung – könnt ihr uns die aktuelle Situation in der Region erklären? Gibt es politische Repression? Wie sieht die aus?

KAF: Es ist nicht klar, worauf sich die Frage bezieht, ob auf den Irak, den Iran, Syrien oder die Türkei. Wenn ihr die kurdische Bewegung in der Türkei meint, da gibt es einige kurdische Organisationen, die aktivste und größte ist die PKK. Seit ihr Anführer festgenommen wurde, haben sich aber die Taktiken und Strategien der PKK geändert. Zur Zeit hat sie sich in vier Organisationen aufgespalten: die in Irakisch-Kurdistan, Iranisch-Kurdistan, Syrisch-Kurdistan und Türkisch-Kurdistan. In jedem der Gebiete hat sie ihre eigene Partei und ihre Guerilla. In der Türkei hat die PKK bis auf weiteres den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat eingestellt, ihre Position ist „nicht Krieg, aber auch nicht Frieden“.  Auf eure Frage könnten wir noch viel ausführlicher antworten, das würde den Rahmen sprengen.

ALB: Gibt es kurdische Anarchisten, die im Gefängnis sind? Gibt es Kurden, die im Gefängnis Anarchisten geworden sind?

KAF: Darauf können wir keine Antwort geben, weil wir darüber nichts Genaues wissen.

ALB: Im spanischen Staat kennen wir die PKK hauptsächlich wegen der Verbindungen, die nationalistische baskische/katalanische [und einige andere linke] Organisationen zu ihr haben. Was könnt ihr uns über sie sagen? Wie wichtig ist sie? Führt sie noch den bewaffneten Kampf? Sind das noch Maoisten?

KAF: Das haben wir schon in der vorigen Frage angesprochen. Wir glauben, dass die PKK eine stalinistische, maoistische und terroristische Organisation ist, gegründet in einem Klima von Terror, Repression und Unterdrückung. Die faschistische und rassistische Regierung der Türkei hat die Situation so lange zugespitzt, bis eine radikale, populäre, aber selbstmörderische Organisation entstand, die PKK. Wir glauben, sie dient weder ihrer eigenen Sache noch der der Arbeiterklasse. De facto liefern sie mit ihren Aktionen der Militärregierung einen Vorwand, die kurdischen Sache auf nationaler und internationaler Ebene zu beschädigen. Sie (PKK und türkische Regierung) haben so viele Dörfer zerstört, Millionen von Menschen vertrieben, viele Unschuldige umgebracht. In Wahrheit helfen die türkische Regierung und die PKK einander. Die PKK stärkt die Regierung, die Sache der Arbeiter wird geschwächt. Umgekehrt stärkt die Art, in der die türkische Regierung mit dem Problem umgeht, die PKK, zumindest in Teilen Kurdistans. Diese Aktivitäten der beiden Seiten haben die Arbeiterklasse und die anarchistische Bewegung in der Türkei immer mehr geschwächt.

ALB: Gibt es neben der PKK noch andere Gruppen in Kurdistan, die sich dem türkischen Militär und Staat entgegensetzen?

KAF: Sicher gibt es die, aber sie verwenden keine Guerillataktiken. Sie glauben an den Kampf gegen die Regierung mit friedlichen Mitteln. Sie verwenden jedes Mittel, das ihrer Sache dient, außer dem bewaffneten Kampf. Ob neben der PKK noch andere Gruppen bewaffnet gegen die türkische Regierung kämpfen, wissen wir nicht genau.

ALB: Wie ist eure Beziehung zu anderen linken Gruppen?

KAF: Wir haben keine Beziehungen zu anderen linken Gruppen.

ALB: Wie hat der Irakkrieg die Lage in Kurdistan beeinflusst? Hat die politische Repression zugenommen? Ist der Wunsch der Kurden nach Unabhängigkeit durch die kurdische Autonomie im Irak größer geworden?

KAF: Der Irakkrieg war für die PKK wahrscheinlich keine gute Zeit. Da haben sich alle Feinde der PKK – USA, die Länder des Westens, die wichtigsten irakischen und kurdischen (PUK, PDK) Parteien und ihre Militäreinheiten verbündet, die Region kontrolliert, und sie waren sich einig, wenn nötig auch die PKK zu bekämpfen. Die PKK war von diesen Kräften geradezu umzingelt. Die Türkei hatte ihrerseits freie Bahn, die PKK zu bekämpfen, ohne Angst vor den USA haben zu müssen. Amerika hat sich darauf eingelassen, diesen schmutzigen Krieg zu unterstützen und die Augen vor diesem Krieg und seinen Opfern zu verschließen, solange die Türkei den internationalen Mächten ihr Territorium als Ausgangsbasis zur Besetzung des Irak zur Verfügung stellte. Wir glauben nicht, dass während des Irakkriegs die Repression über das gewohnte Maß hinausging. Denn die PKK hat in der Zeit stillgehalten, sie hat alle wichtigen Operationen oder Angriffe eingestellt. Das kurdische Streben nach Unabhängigkeit mag während der kurdischen Autonomieregierung in Irak-Kurdistan gewachsen sein, aber das hilft der Sache der Kurden in der Türkei nicht, aus zwei Gründen nicht: – Die Autonomieregierung war mit der türkischen Regierung immer politisch, wirtschaftlich und kommerziell verquickt. Sie hat ihrer eigenen Sicherheit und ihrem Überleben die Sache aller Kurden, die Sache der Kurden in der Türkei geopfert, ohne mit der Wimper zu zucken. – Als die kurdische Autonomieregierung im Irak eingerichtet wurde, bewirkte das, dass sich der Iran, Syrien und die Türkei zusammenschlossen, da es in diesen Ländern kurdische Minderheiten gibt. Für dieses Dreierbündnis wurde die PKK zum Hauptfeind, und dadurch wurde die PKK in der Türkei gelähmt. Außerdem hat es die Türkei geschafft, die Spitzen der Autonomieregierung dazu zu zwingen, ihr im Kampf gegen die PKK beizustehen. Die meiste Zeit mussten die Kurden aber alleine kämpfen, wenn auch mit militärischer Unterstützung aus der Türkei, vor allem in Form von Jagdflugzeugen.

ALB: Wie ist die wirtschaftliche Lage dort? Gibt es in Kurdistan irgendwelchen Arbeiterwiderstand oder radikalen Syndikalismus?

KAF: Die wirtschaftliche Lage des kurdischen Autonomiegebiets vor dem Krieg war sehr schlecht. Aber seit dem Zusammenbruch des Saddam-Hussein-Regimes hat sie sich noch mehr verschlechtert. Die USA haben viel Geld ausgegeben, um Leute zu bestechen oder islamistische terroristische Gruppen und die PKK zu isolieren.
Nach dem Aufstand von 1991 sind viele Organisationen entstanden, die meisten davon links – Frauenbewegung, Gewerkschaften, Studenten – und haben versucht, sich miteinander zu verbünden. Neben dieser starken Bewegung entstand in den Fabriken eine machtvolle Arbeiterbewegung, die sich selbst organisierte. Sie hatten auch gute Kontakte zur Arbeitslosengewerkschaft Kurdistans. Diese Gruppen haben ihre linken[*] Einflüsse und Kampfmethoden nie überwinden können, sie haben genau dieselben Taktiken und Strategien angewandt wie die bolschewistischen und sozialdemokratischen Parteien, die immer kleiner wurden, bis sie schließlich ganz verschwanden.

….  Ende 1.Teil des Interviews

[1]  http://sakurdistan.kurdblogger.com/
[2]  http://karakok.wordpress.com/
[3]  http://anarchism-jordan.blogspot.com/
[*] mit „links“ (izquierdista) ist wohl autoritär-sozialistisch gemeint, A.d.Ü.

Das spanische Originalinterview findet sich hier

Die englische Version auf dem deutschsprachigen Indymedia hier

9 Kommentare leave one →
  1. Syndikalista permalink
    8. März 2010 12:46

    Die GenossInnen sind auch recht nett, wenn man sie anschreibt freuen sie sich und schreiben schnell zurück.
    Ein paar ihrer GenossInnen wirken im Anarchistischen Forum Köln mit.

  2. 9. März 2010 13:07

    Also ja, es gibt in der Türkei noch andere bewaffnete Guerillagruppen. Und die PKK und ihren „demokratischen Konföderalismus“ noch als maoistisch zu bezeichnen, hat keine Berechtigung.
    Es ist ohne Probleme möglich eine syndikalistische oder sozialistische Kritik an der kurdischen ArbeiterInnenpartei zu üben, aber das wird hier leider nicht getan. Sonst ganz spannend.

    Auch sonst ist die Gegend echt zu wenig auf unserem Schirm. Danke an syndikalismus.tk, dass ihr in letzter Zeit immer mal wieder Dinge jenseits des Bosporus erwähnt!

  3. syndikalista permalink
    11. März 2010 16:47

    Lieber Fortschritt, wieder wirfst du Sachen in den Raum ohne sie zu begründen. Weshalb soll man die PKK und ihren „demokratischen Konföderalismus“ nicht mehr als maoistisch bezeichnen dürfen? Dies ist nach meinen Erfahrungen nach wie vor ein Hauptgrund der im deutschen Exil lebenden, libertären KurdInnen. Und wie „darf“ denn die Kritik aussehen, dass sie „berechtigt“ ist? Wie kritisierst DU sie denn, damit es seine Berechtigung hat (und wo holst du die her?)

    Ansonsten, viel Liebe, Kraft und Mut den GenossInnen von der Klassenfront!

  4. 11. Mai 2010 19:48

    Genosse syndikalista, Genosse fortschritt,

    danke für eure kommente, und danken wir als KAF (kurdistan Anarchists Forum) den Genosse, der das interview übersetzt hat.

    Liebe fortschritt, wir haben mehrer Artikel in Kurdish-Sorani und da haben wir allgemein Nationalismus und zentralismus und alle bolschevikische, maoistische und hikmetistische Organisationen kritisiert und wir haben unsere anarcho-syndikalistische alternativen in alle bereiche forgelegt. anader seite wir habe mehre artikel von Rocker, Poughet, Bakounin, Gueren und section A (A1 -A10), A2, section J (j1-J10), section D (D1, D2, D6) usw übersetzt und veroffentlicht.

    über PKK, obwohl das Ocelan Bakounin, Propotkin und Buchen interesant findet, aber pkk ist noch ein zentralistische paramiliter Organisation und stat Guarila kampf sind wir für klassische kampf in soziale bewegung und Direkte aktion und Generall streike ist für uns beste und revolutioner front. Eine anarcho-syndikalistische kritik an pkk, bask Rebelen, Maoistische guarlia in Asien ist nicht nur Aufgabe die Lokale Anarchistischen Groupen, sonst Aufgabe alle Anacho Grouppen in ganz wellt, Ihr Deeutschsprachige Anarchisten!

    in solidarety,

    Hezheen
    Mitglid der Kurdistan Anarchisten Forum

  5. 11. Mai 2010 20:03

    section A (A1 -A10), A2, section J (j1-J10), section D (D1, D2, D6) von an anarchist FAQ

    http://anarchism.pageabode.com/afaq/index.html

    http://afaqkurdish.wordpress.com/

    http://sakurdistan.kurdblogger.com/

    in solidarety,

  6. Kakophonie um einen Angriff auf den Iran permalink
    14. Februar 2012 00:42

    Gibt es noch einen 2. Teil dieses Artikels?

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    Kakophonie um einen Angriff auf den Iran

    Wird Israel den Iran angreifen? In Israel ist das derzeit die meist diskutierte Frage. Zeitungen drucken die möglichen Wege der israelischen Lauftwaffe im Fall eines Angriffs ab oder zeigen, wie weit der Iran mit seinen Raketen kommt. Und sogar die Werbung macht vor dem Thema nicht halt.

    http://www.tagesschau.de/videoblog/zwischen_mittelmeer_und_jordan/videoblogschneider216.html

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  7. Ein Abend allein zu Hause gefährlicher als ein Spaziergang in Bagdad permalink
    27. April 2013 13:48

    • 30. April 2013 09:05

      danke Genosse/Comrade,

      wenn zweite Teil in deutsch in Hand ist, bitte sende mir, so kann weiter geben

      in Solidarität, Hezheen

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