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Buchrezension: Oliver Steinke über “Schwarze Scharen” von Helge Döhring

6. September 2014

schwarze_scharenIn den „Schwarzen Scharen“ beschreibt Autor Helge Döhring eine bisher weitgehend unbekannte Gruppe der antifaschistischen ArbeiterInnen 1929-1933.

Ihre Erscheinung nahm das der linksradikalen Autonomen der 80 iger und 90 iger Jahre des letzten Jahrhunderts vorweg, denn auch sie trugen einheitlich schwarz, damals Hemden und Hosen. Trotz dieser Uniformität standen sie für Individualität und Freiheit. Sie waren militant, wollten aber Frieden, ganz bewusst war auf der schwarzen Barettmütze ihrer Mitglieder ein gebrochenes Gewehr abgebildet. Die Rede ist von den „Schwarzen Scharen“.

Helge Döhring untersucht ein zu wenig diskutiertes Thema in der antifaschistischen Bewegung, – nämlich anhand der „Schwarzen Scharen“ den Widerstand gegen die erstarkenden Nazis bereits vor deren Machtergreifung, also in den Jahren 1929-1933. Wer waren diese engagierten jungen Erwachsenen und wo verliert sich ihre Spur? Döhring zeigt ihre Bedeutung und die der antiautoritären Arbeiterbewegung insgesamt.

Hintergrund

Bereits um 1890 trennte sich ein Teil der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft von der zentralistisch und marxistisch geprägten „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“. Aus den abtrünnigen „Lokalisten“ ging schließlich 1919 in Berlin die „Freie Arbeiter Union Deutschlands“ FAUD hervor. Ihrer politischen Richtung, die sich „Anarchosyndikalismus“ nannte und nennt, schlossen sich in den revolutionären Kämpfen von 1919 bis 1921 in Deutschland nicht nur 120000 Mitglieder an:

Im Januar 1919 waren es auch anarchosyndikalistische Bergleute, die ausgehend von Dortmund 40 Zechen kollektivieren und umgehend und mit großem Erfolg die 6 Stunden Schicht einführten. Ein Jahr später kamen aus der FAUD große Teile der aufständischen Roten Ruhr Armee, besonders im westlichen Ruhrgebiet, die wochenlang die großen Städte kontrollierte und die im April 1920 von Freikorps und Truppen der Reichsregierung unter Hermann Müller (SPD) zerschlagen wurde.

Mit dem Ende der revolutionären Kämpfe, der Hyperinflation 1923 und der zeitweiligen Beruhigung der wirtschaftlichen Lage in den 20 iger Jahren verlor die FAUD die meisten ihrer Mitglieder. Für eine wirksame Bewegung zu schwach, für eine Sekte zu aktiv und einflussreich, verharrte sie in einem eigenartigen Schwebezustand, was ihre Bedeutung betraf. Inhaltlich vertrat sie als Ziel das Erreichen eines freien Sozialismus, der durch Selbstorganisation von Wirtschaft und Gemeinden von unten nach oben aufgebaut, durch die bewusste Entscheidung der Massen erreicht werden sollte. Mittel im gewerkschaftlichen Kampf waren vor allem Streik und direkte Aktionen wie Sabotage. Was weitergehende Militanz betraf, gab es in der FAUD von Anfang an verschiedene Ansichten: In Publikationen war eher die pazifistisch, gewaltfreie Strömung vorherrschend, wurde aber in der Organisation nie als Dogma durchgesetzt.

Die Schwarzen Scharen

Früh erkannten Aktivistinnen und Aktivisten der FAUD und ihrer Jugendorganisation der „Syndikalistischen Arbeiterjugend Deutschlands“ (SAJD) die Gefahr des Faschismus und einige hundert junge Erwachsene beschlossen, nicht mehr wehrlos zu bleiben oder sich gar auf die Polizei zu verlassen, wenn sie bedroht wurden, sondern selbstständig ihre Redner und Veranstaltungen zu schützen.

Zwischen 1929 und 1933 gründeten sie einen eigenen Kampfverband. Allerdings stieß vor allem ihre einheitlich schwarze Kleidung gerade bei den eigenen Leuten oft auf Ablehnung.

Zwar hatten sie insgesamt wohl nie mehr als etwa 300 Mitglieder, aber in den Arbeiterbezirken von Berlin, Kassel, Wuppertal, Bochum oder Darmstadt organisierten sie erfolgreich Schutz vor gewalttätigen faschistischen Überfällen.

Auch auf dem Land, wo in jenen Jahren vielerorts Nazis die in Schleswig-Holstein entstandene und sich ausdehnende „Landvolkbewegung“ erfolgreich unterwanderten, wurde es unausweichlich, sich zu organisieren, sollte den Nazis nicht kampflos das Feld überlassen werden. Hier unternahmen „Schwarzen Scharen“ auch Propagandatouren durch die Ortschaften.

Einige bekannte Aktivisten:

Paul Czakon (1896-1952)

kämpfte später unter dem Namen Maximo Mas als Verantwortlicher der Sacco and Vanzetti Artillerie Abteilung in der anarchistischen Kolonne Land und Freiheit in Spanien. Später schloss er sich der französischen Resistance an.

Alfons Pilarski (1902-1977)

arbeitete seit 1942 in Warschau im Untergrund gegen die Nazibesatzung und nahm hier im August 1944 am Aufstand teil, der nach 63 Tagen niedergeschlagen wurde. Er überlebte schwerverletzt.

Helmut Kirschey (1913 -2003)

war Mitglied der Wuppertaler Schwarzen Schar.

Er wurde bereits im März 1933 von der Polizei verhaftet, doch im November gelang ihm die Flucht nach Amsterdam, wo er sich den dortigen Anarchosyndikalisten anschloss. 1936 reiste er mit falschen Papieren nach Spanien und kämpfte in der anarchistischen Kolonne Durruti gegen die Franco Faschisten. In den Mai Kämpfen 1937 in Barcelona wurde er von den Stalinisten verhaftet und ein Jahr lang gefangen gehalten. 1938 ging er ins schwedische Exil, wo er in der Arbeiterbewegung aktiv blieb.

Drei Schicksale, die für viele weitere, oft noch kaum bekannte stehen. Weitere Mitglieder gingen ins Exil, einige wie Kirschey 1936 nach Spanien, um dort weiterhin gegen den Faschismus zu kämpfen. Andere gingen in den Untergrund. Hier gehörten sie meist zu jenen Mitgliedern der FAUD und SAJD, denen als Antifaschisten der Prozess gemacht wurde und die jahrelang in Gefängnissen und Konzentrationslagern verschwanden oder dort ermordet wurden.

Fazit: Dank Helge Döhring und dem Verlag Edition AV werden die „Schwarzen Scharen“ nun nicht mehr übergangen werden können, wenn vom Widerstand gegen die Nazis die Rede ist. Denn abgesehen von wegweisenden kürzeren Beiträgen von Ulrich Linse und Dieter Nelles hat bisher kaum jemand ihre Existenz auch nur zur Kenntnis genommen oder über sie geschrieben.

Durch große Ausdauer bei der Forschung und seiner lebendigen Darstellung gelingt es Döhring, nun jenen Menschen ihre Stimmen zurückzugeben, die entgegen dem damaligen autoritären Zeitgeist bereit waren, für ihre Ideale große Risiken auf sich zu nehmen. So enthält die detaillierte historische Untersuchung neben Beschreibungen der jeweiligen lokalen Situation auch persönliche Eindrücke von damaligen AktivistInnen.

In seiner unermüdlichen, viel zu wenig beachteten Arbeit, die gesamte Geschichte der deutschen syndikalistischen Bewegung zu recherchieren, darzustellen und sie so vor dem Vergessen zu bewahren ist „Die schwarzen Scharen“ eines von Döhrings wichtigsten Büchern.

Oliver Steinke

Helge Döhring: Die Schwarzen Scharen, Edition AV, Lich 2011, 184 Seiten 14,90 €
ISBN: 978-3-86841-054-9

HIER ERHÄLTLICH

Quelle: Arbeiterbörse für Literatur

2 Kommentare leave one →
  1. Marxisation von Geschichte und Idee permalink
    6. September 2014 09:09

    Ich nehme das oben rezensierte Werk zum Anlass, um auf drei andere Werke hinzuweisen, die exemplarisch für die Marxisation der Geschichte und der Ideen stehen.
    Heute beginnen Anarchisten und im besonderen Maße Anarcho-Syndikalisten ein eigenes Profil zu entwickeln. Junge Anarcho-Syndikalisten fragen endlich, warum sie das „S“ im Namen haben. Sie zweifeln an, dass ihre Gruppierungen dazu da sind, auf dem Niveau „veganen Kochens“ und Demos, eben nur mit anderem Namen als die Linken, zu verharren.
    Früher war das anders. Vor einigen Jahren beschrieb unser Stowasser die Situation als anarchistisches Mitläufertum bei linken Bewegungen, besonders während der 68er Phase der Erhebungen. In einer Broschüre zur Infomation und Geschichte des „Projekt A“ beschreibt er eine Anarchistengeneration, die zwar überall dabei war, Autonome, Ökos usw. aber für die am Ende, als zum Beispiel die Ökos in die Parlamente gingen und die Autonomen in Knast, Kliniken oder Karriere verschwanden, für sie nichts übrig blieb.
    Ich denke es war ein Nettlau-zitat in einem Buch von Rudolf Rocker, da las ich erst neulich, dass eine Bewegung die erfolgreich sein will, im Volke eine Tradition und einen Geist begründen muss. Dazu sei es nötig, Kontinuitäten statt der Generation Gap zu kultivieren und besonders an alte Überlegungen anzuknüpfen, die eigenen Ausformungen folgen zu lassen, damit Dinge reifen und nachvollziehbar bleiben, und man nicht Gefahr läuft immer wieder das Rad neu zu erfinden, die Fehler der Geschichte zu wiederholen. Dieses Anknüpfen an die alten Überlieferungen hat die Anarchistische lange versäumt – viele Zeitzeugen blieben unausgegraben und un-interviewt. Aber auch die Praxis lässt zu wünschen übrig. Waren die Masse der Anarchisten vor dem Zweiten Weltkrieg weltweit Anarcho-Syndikalisten schritten viele Menschen ein Vierteljahrhundert später zurück, und diskutierten was das Zeug hält, über Dinge, die bereits in den Werken der Vorgänger und Vorgängerinnen vorlagen, erneut, und ohne auf eine besondere Lebenserfahrung in revolutionären Dingen zurückblicken zu können, oft von einem abstrakten, intellektuellen Standpunkt aus.
    Aus dieser Phase und aus späteren Jahren stammen Bücher, die aus der Linken kamen und die dem Anarchismus und Syndikalismus den Todesstoß versetzen sollten, Werke, die nicht nur die Bedeutungslosigkeit der freiheitlichen Sozialisten damals durch Nichterwähnung herausstreichen sollten, sondern die sogar die Existenz der Libertären in der Vergangenheit, wo sie unleugbar ihre Wirkungen entfalten konnten, leugnen oder „geschickt“ unterschlagen.
    Ich komme auf die Idee dieses Kommentars, weil ich in einem Bücherchrank in einer der ekelhaftesten und kulturlosesten deutschen Städte drei wunderschöne Beispiel gefunden habe, die diesen Sachverhalt illustrieren können, Bücher die die „Linke“, zu der sich die Anarchisten jahrelang gerne gezählt haben, gelesen und deren inhalte sie brav tradiert hat:

    1. Bruno Trentin „Die andere Gewerkschaft – vom traditionellen Syndikalismus zur politischen Bewegung“ 1980
    Hier fällt auf, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg anscheinend gar nichts gegeben haben kann, was eine Tradition beim Syndikalismus hätte bilden können – Marxistische Geschichstlosigkeit. Nur da, wo (marxistische) Linke auftritt kann es wert sein, die Geschichte zu notieren, alles andere muss durch Nichterwähnung und Unterschlagung vernichtet werden.

    2. Jean Daniel Reynaud „Les syndicats en France“ 1975
    Überraschend ist, dass in diesem französischen Buch Marx, der deutsche Gewerkschaftsbund, der Bundesverband der deutschen Industrie und noch weitere Blicke nach Deutschland und nur in Marxens Falle vor den Zweiten Weltkrieg geworfen werden. Ähnlich wie damals, als sich dummerweise der Großteil der europäischen Arbeiterbewegung von den autoritären Bismarxisten betören ließ, findet auch die sozialpartnerschaftliche deutsche Lüge wieder Platz in den Betrachtungen zu den Gewerkschaften „en France“.

    3. Sergio Vilar „Die Spanische Opposition“ 1971
    Der Autor beschreibt die Opposition gegen den Francofaschismus in der Nachkriegszeit und geht bis 1939 zurück – die anarcho-syndikalistischen Revolutionäre können zu diesem Zeitpunkt zu zehntausenden „politischen Häftlingen“ umgeformt werden, eine Bezeichnung, die die Zeit davor verleugnet.
    Ein symptomatisches Buch, das genau das beschreibt, was der Rezensent oben bemängelt: Der Widerstand VOR der Machterlangung der Faschisten in Europa, wird nicht beleuchtet – selbst für Marxisten ist das seltsam, haben sie sich doch vorher selbst so ins Zeug gelegt den Widerstand vor der Machtübernahme in den meisten Fällen niederzuhalten, damit er ihre Wahlkampagnen nicht stört. Der Autor nennt die Proteste und den Widerstand ab 1951 (!) „das große Erwachen der Arbeiterklasse“…mindestens zweimal streicht der Autor, wie als hätte er es auswendig gelernt und wiedergegeben heraus, dass die CNT „wenig dynamisch“ handelt… was auch immer das heißen mag.
    Er schreibt den Namen Sabatés nicht mal richtig, immerhin erwähnt er den anarchistischen Guerillero…

    Ich hoffe sehr, dass dieses düstere Kapitel, in dem die freiheitlichen Kräfte zu politischen Zwitterwesen mutierten und damit in sich zerrissen waren, endlich beendet ist. Dass unser Nachwuchs nicht mehr glasigen Auges da sitzt und bejammert, dass die „Linke ja so gespalten ist!“ und dass unsere Alten nicht mehr verzweifeln, daran, dass vom Marxofaschismus begangene Verbrechen „nicht einfach aus UNSERER Geschichte wegzustreichen sind…“
    Ich freue mich ungemein über Bestrebungen unserer Bewegung, die sich in der Bildung eigener Forschung äußert, unsere Geschichte als Lehrmeisterin aufzuarbeiten und greifbar zu machen, mehr noch, die Genossen und Genossinnen anzuspornen selbst zu forschen, will sagen, selbst zu lernen. Ich hoffe diese Impulse werden aufgenommen und führen nicht dazu, dass eine Handvoll sich historisch auskennt und die anderen denken, dass würde so ausreichen…

    Wir sind Arbeiter und Arbeiterinnen, auch, weil wir an uns zu arbeiten haben…Einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten gehört dazu. Wir Anarcho-Syndikalisten sind keine Linken, haben nichts mit der Gedankenwelt eines Marx oder Lenin zu schaffen und müssen endlich aus der jüngeren und älteren Geschichte lernen, auf eigenen Beinen zu stehen – in jeder Hinsicht. Selbstorganisation in allen Lebenslagen!

  2. 7. September 2014 23:22

    Sinn im Leben

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