Zwei Moskauer Feministinnen in Untersuchungshaft
von Bernhard Clasen
8-wöchige U-Haft könnte mit sieben Jahren Gefängnis enden.
Ein Moskauer Gericht erließ Haftbefehl gegen die Feministinnen Maria Alechina und Nadeschda Tolokonnikowa. Den beiden wird vorgeworfen, als Mitglieder der Punk-Gruppe „Pussy Riot“ in einer Kirche unangemeldet aufgetreten zu sein. Sie sollen die religiösen Gefühle der Gläubigen verletzt haben.
Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 7 Jahre Haft. Alechina und Tolokonnikowa, die in der Untersuchungshaft in den Hungerstreik traten, bestreiten diesen Vorwurf. Wenige Tage zuvor hatten Nationalisten Mitglieder der Band, die immer vermummt auftreten, im Internet angegriffen und dabei deren Photos mit vollständiger Adressangabe veröffentlicht. Ein Antrag auf Haftverschonung für die beiden Mütter kleiner Kinder wurde abgelehnt mit der Begründung, sie hätten ein schweres Verbrechen begangen und könnten bei einer Haftverschonung wichtige Beweismittel vernichten.
Nachdem die feministische Punk-Gruppe am 21. Februar in einer Kirche ohne Erlaubnis ihren neuesten Song „Mutter Gottes, vertreib uns unseren Putin“ gesungen hatte, stellten orthodoxe Kirchgänger Strafanzeige gegen die Sängerinnen wegen „Rowdytums“. In der Folge wurden vier Mitglieder der Gruppe vorübergehend festgenommen. Während zwei der Festgenommen wenig später wieder auf freiem Fuß waren, blieben Alechina und Tolokonnikowa weiter in Haft. In einem Schreiben des Prorektors der „Schule des orthodoxen Missionars“, Dmitrij Pachomow, an den russischen Generalstaatsanwalt, heißt es: „Am 21. Februar fand in der Moskauer Christus-Erlöser-Kirche eine Provokation statt, die die Gefühle eines religiösen Menschen verletzt. Direkt vor der Gottesmutter hatte die berüchtigte Gruppe Pussy Riot ein sog. ´Konzert` abgehalten……………“
Im weiteren Text des Schreibens an den Generalstaatsanwalt führt der orthodoxe Geistliche aus, warum die Konzert von „Pussy Riot“ strafrechtlich zu verfolgen ist. Auch im Parlament hat der Auftritt von „Pussy Riot“ in der Kirche für Irritationen gesorgt. Zahlreiche Abgeordnete sprachen sich für eine Verschärfung der Strafen für die Verletzung von religiösen Gefühlen aus.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich viele für die Freilassung von Maria und Nadeschda einsetzen und deren Kinder bald ihre Mütter wieder sehen werden.
Hier der Auftritt von „Pussy Riot“ in der Kirche, der zwei der mutmaßlichen Sängerinnen in Untersuchungshaft gebracht hat:
Quelle: Scharf-Links.de
pussy riot
http://www.amnesty.org/en/library/asset/EUR46/014/2012/en/c9edb950-30b6-4b90-a4d3-ddf8b97bc4c3/eur460142012en.html
Document – Russian Federation: Release punk singers held after performance in church
AMNESTY INTERNATIONAL
PUBLIC STATEMENT
Revolt in Russia! Charisma of protest!
Revolt in Russia! Putin pissed himself!
Revolt in Russia! We exist!
Revolt in Russia! Riot! Riot!
A mutinous column marches on the Kremlin
Blowing up windows of FSB offices
Bitches piss on the Kremlin walls
Announcing a riot, Abort the System!
Act at dawn? Don’t start to question
For our and your freedom we’ll whip them to submission
The glorious Madonna will teach us to fight
The feminist Magdalena stood up for democracy
Revolt in Russia! Charisma of protest!
Revolt in Russia! Putin pissed himself!
Revolt in Russia! We exist!
Revolt in Russia! Riot! Riot!
Walk out on the street!
Live on Red Square!
Demonstrate freedom
With citizen rage!
Dissatisified with a culture of masculine hysteria
An uncontrolled autocracy devours our brains
The Orthodox religion is a hardened penis
Coercing its patients to accept conformity
Soon the regime will censor our dreams
The time has come for the battle to explode
A band of bitches of a sexist regime
Asks for forgiveness, armed with a feminist spike
Revolt in Russia! Charisma of protest!
Revolt in Russia! Putin pissed himself!
Revolt in Russia! We exist!
Revolt in Russia! Riot! Riot!
Go out on the street!
Live on Red Sqaure!
Demonstrate freedom
With citizen rage!
Erst der Protest, jetzt Gefängnis
Wie Moskau die Pussy Riots bekämpft
Sie flehten Gott an, Russland von Wladimir Putin zu erlösen: Jetzt müssen die drei Frauen der Band „Pussy Riot“ für ihre Protestaktion am 21.02. im Heiligtum einer russisch-orthodoxen Kirche büßen. Die russische Justiz will ein Exempel statuieren und geht extrem hart gegen die feministische Punkband vor. Angetrieben von Politik und radikalen Christen sollen die jungen Mütter wegen Rowdytums bis zu sieben Jahre weggesperrt werden. MoMa-Reporter Olaf Bock berichtet.
http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/435054_morgenmagazin/10424686_moma-reporter-moskau-bekaempft-die-pussy-riots-
Commandante, der Erste
Никита Джигурда призывает 20 июня на суд по Pussy Riot
Lautstarker Protest in Bonn: Free Pussy Riot!
Vor dem Generalkonsulat der russischen Föderation in Bonn Bad Godesberg tauchten heute Morgen unerwartet über zwanzig bunt Vermummte auf.
Sie protestierten gegen die Inhaftierung von drei Frauen, angebliche Mitglieder der feministischen Gruppe Pussy Riot in Moskau, die sich mit zahlreichen spektakulären Aktionen gegen die patriachale Putin-Dyanstie Gehör verschafft.
Den Inhaftierten drohen in Russland aufgrund vermeintlicher anti-religiöser Vergehen jahrelange Haftstrafen. „Svaboda, svaboda, svaboda Pussy Riot!“ skandierten die Demonstrantinnen und Demonstranten unter Samba-Rythmen vor dem Konsulat.
Einem Teil der Gruppe gelang es sogar, sich an der Security vorbei zu drängeln und auf das Gelände des Konsulats zu stürmen. Dort verteilten sie Flugblätter an die Wartenden.
Bevor die Polizei erschien, verschwanden die Vermummten wieder von der Bildfläche.
Text auf den Flugblätter:
Wegen vermuteter Beteiligung an einer feministischen Putin-kritischen Aktion sind zur Zeit 3 Aktivistinnen der Gruppe Pussy Riot in Moskau inhaftiert. Ihnen droht ein Strafmaß von sieben Jahren auf Grund vermeintlicher anti-religiöser Hassverbrechen. Die Gruppe selbst positioniert sich politisch gegen Putin als patriachalen Herrscher und nicht gegen Glauben an sich.
Heute wollen wir zeigen, dass diese Repressalien gegenüber Regimekritikerinnen nicht zu dulden sind – Nicht in Russland und nirgendwo sonst!
http://de.indymedia.org/2012/06/331519.shtml
Thousands pray for ‚correction‘ of anti-Putin punks
Church bells rang across Moscow on Sunday as thousands of Orthodox faithful gathered at Russia’s main cathedral to pray for the „correction“ of feminist punks who face jail for singing before its altar.
scheisse, ist das krank.
Rußland: Keine Gnade für Riot-Girls
Der Auftritt dauerte nicht mal fünf Minuten – jetzt drohen bis zu 7 Jahre Haft. Die feministische Frauen-Punkband Pussy Riot hatte im Februar 2012 in einer Moskauer Kirche gegen Wladimir Putin protestiert. Mit einer Mischung aus Kirchengesang und Pop-Rock, direkt vor dem Altar.
http://www.ardmediathek.de/das-erste/europamagazin/russland-keine-gnade-fuer-riot-girls?documentId=11130408
„Pussy Riots“: Gericht verlängert Untersuchungshaft für Frauenband
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1151522.html
Ukraine: Protest oben ohne gegen russisch-orthodoxen Patriarchen
Kiew (dpa) – Oben ohne hat eine Aktivistin der ukrainischen Frauengruppe Femen auf dem Rollfeld des Flughafens in Kiew gegen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill protestiert. Die Frau riss sich das T-Shirt vom Leib und wollte sich mit dem Schrei «Hau ab!» auf den gerade eingetroffenen Oberhirten stürzen, berichteten ukrainische Medien. Sicherheitsbeamte konnten die 22-Jährige im letzten Moment stoppen. Femen protestiere mit der Aktion gegen den wachsenden Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche, teilte die Organisation mit.
http://www.zeit.de/news/2012-07/26/kirche-protest-oben-ohne-gegen-russisch-orthodoxen-patriarchen-26142603
Nach Protest in Moskauer Kathedrale
„Pussy Riot“ wegen Putin-Kritik vor Gericht
Seit ihrem maskierten Auftritt in der größten Moskauer Kathedrale ist die russische Punkbank das Symbol des Widerstands gegen Präsident Putin. Von heute an müssen sich die drei Frauen vor Gericht verantworten. Bei einer Verurteilung droht ihnen bis zu sieben Jahre Arbeitslager.
Von Markus Sambale, ARD-Hörfunkstudio Moskau
http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio92756.html
Das „Punk-Gebet“ der Band „Pussy Riot“
„Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin! Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen –
Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung
Das Gespenst der Freiheit im Himmel
Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.
Der KGB-Chef ist euer oberster Heiliger,
Er steckt die Demonstranten ins Gefängnis.
Um den Heiligsten nicht zu betrüben
Müssen Frauen gebären und lieben.
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck! Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!
Mutter Gottes, du Jungfrau, werde Feministin,
Werde Feministin, werde Feministin!
Kirchlicher Lobgesang für die verfaulten Führer –
Kreuzzug aus schwarzen Limousinen.
In die Schule kommt der Pfarrer,
Geh zum Unterricht – bring ihm Geld.
Der Patriarch glaubt an Putin.
Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben.
Der Gürtel der Seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen –
Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!
Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin!“
Übersetzung: dpa
Kulturschaffende gegen Putin
Mit Rap und Humor für ein anderes Russland
Sie rappen über Korruption, organisieren Protest-Märsche durch Moskau oder verpacken ihre Kreml-Kritik in Humor: Viele russische Kulturschaffende engagieren sich für ein anderes Russland. Offenen Drohungen sind sie zwar kaum ausgesetzt, aber es herrscht eine Stimmung der Unsicherheit.
Von Markus Sambale, ARD-Hörfunkstudio Moskau
„Schmiergeld, Bestechung, Geldwäsche – Politik ist eine spannende Sache: Nimm einen Haufen Kohle und gib sie aus“, singt Noize MC, einer der populärsten Rapper Russlands. Der 27-Jährige nimmt in seinen Texten kein Blatt vor den Mund, kritisiert Korruption und Polizei-Willkür – und die Privilegien der Mächtigen.
Wie Noize MC engagiert sich eine ganze Reihe von Musikern für ein anderes Russland – so etwa der Rockmusiker Juri Schewtschuk, der mehrfach auf Demonstrationen von Putin-Gegnern spielte.
„Kontrollspaziergang“ in Moskau
Zu einer leiseren Form des Protests rief im März Boris Akunin auf, der auch in Deutschland bekannte Krimi-Autor. Er rief zu einem „Kontrollspaziergang“ auf, um zu testen, ob man noch – wie zu Puschkins Zeiten im 19. Jahrhundert – über die Moskauer Straßen flanieren könne.
Akunin freute sich, dass sich Tausende Menschen dem nicht genehmigten Marsch anschlossen. „Die waren aber nicht wegen der Schriftsteller da. Die Menschen befürchten, dass Putin denkt, wir hätten vor ihm und der Polizei mit ihren Schlagstöcken Angst.“ Dies sei aber nicht der Fall: „Die Menschen sind hier und sagen: ‚Nein, lieber Wladimir Putin – wir haben keine Angst vor Ihnen.‘ Meiner Meinung nach war das sehr überzeugend.“
Proteste vor allem in der Hauptstadt
Die Proteste der Kulturschaffenden konzentrieren sich – wie die Demonstrationen gegen Putin insgesamt – auf Moskau. Der weitaus größte Teil der 140 Millionen Menschen in dem Riesenland kommt nur selten mit solchen Aktionen persönlich in Berührung. Das gilt auch für kritische Inszenierungen im Theater: Während das groteske Stück „Berlusputin“, das Silvio Berlusconi und Wladimir Putin als gescheiterte Politiker zeigt, in Moskau vor ausverkauftem Haus gespielt wurde, winkten Bühnen in Sankt Petersburg ab.
Der Großteil der Kulturschaffenden beklagt sich nur selten über offene Drohungen oder Druck von oben. Eher scheint es eine Stimmung der Unsicherheit zu sein und auch Selbstzensur, sodass Aufführungen oder Ausstellungen nicht zustande kommen.
Kunstaktivisten, die extreme und aggressive Mittel wählen, müssen dagegen schnell fürchten, drangsaliert und festgenommen zu werden. Aktuell spüren die Musikerinnen von „Pussy Riot“ nach ihrer Aktion in der Erlöser-Kathedrale die Folgen einer harten Justiz.
Auch Putin-Fans unter den Künstlern
In die entgegen gesetzte Richtung ist der Kino-Regisseur Stanislaw Goworuchin gegangen, er engagiert sich offen für Wladimir Putin – und unterstützte ihn im Präsidentenwahlkampf. „Mir ist völlig egal, ob mich jemand benutzt hat oder nicht. Ich bin in den Wahlkampfstab gegangen, weil ich ihn respektiere und diesen Mann sogar verehre. Ich wollte ihm helfen – und alles, was ich machen konnte, habe ich getan.“
Der Schriftsteller und Journalist Dmitri Bykow, der in der Protestbewegung gegen Putin vorn mit dabei ist, setzt dagegen auf Humor und sprachliche Feinheiten, um Russland zu verändern. „Warum braucht man Beweise für das, was offensichtlich ist? ‚Ohne Putin haben wir Chaos‘, heißt es. Aber wissen Sie: Russland hat ziemlich lang ohne Putin existiert. Das Land hat gute und schlechte Zeiten erlebt. Und irgendwie haben wir Chaos immer überwunden. Glauben Sie nicht, dass in einem Land alles von einer Person abhängt!“
http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio92754.html
Prozess gegen Punkband „Pussy Riot“ nach Putin-Kritik
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1156014.html
Панк-молебен Богородица, Путина прогони Pussy Riot в Храме
http://de.wikipedia.org/wiki/Pussy_Riot
Webseite der Initiative Free Pussy Riot (mehrsprachig) http://freepussyriot.org/
Pussy Riot trial: theatre of the absurd
http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/jul/30/pussy-riot-trial-editorial
Throughout history, authoritarian leaders have vigorously and often cruelly defended their dignity
No political leader enjoys being made to look foolish. Throughout history, authoritarian leaders have vigorously and often cruelly defended their dignity. To observers lucky enough to be beyond reach, their actions merely confirm their vulnerability. It may not look quite like that to the three members of the performance art outfit Pussy Riot, whose trial has just started in Moscow. They wanted to use art to undermine the power of Vladimir Putin. Instead, predictably, he has turned it on them. Beyond the border, he looks ridiculous. In Russia, the prosecution of these three young women who have been vilified in the media for months has become a trial of Mr Putin’s very regime, one that he cannot afford to lose.
(…) Quelle: Guardian
http://www.heise.de/tp/artikel/37/37369/1.html
Wegen eines Anti-Putin-Gebets in der Moskauer Erlöser-Kirche drohen drei jungen Russinnen sieben Jahre Arbeitslager
Ulrich Heyden
Solidarität mit Pussy Riot!
Ein Interview mit einer Aktivistin und Musikerin der sibirischen Punkband Kissmybabushka
Die Nachricht ging um die Welt, Madonna, Sting und die Red
Hot Chilli Peppers schickten Solidaritätsadressen: Drei Mitglieder
der queer-feministischen Band Pussy Riot aus Moskau
waren im März 2012 verhaftet worden und sollen nun für
zwei Jahre ins Straflager. Wir sprachen mit der feministischen
Punkband Kissmybabushka aus Novosibirsk über die Situation
von Feminist_innen in Russland, über ihre Solidaritätsarbeit
für Pussy Riot und ihre eigene Repressionserfahrungen. Denn
von diesen musste auch Kissmybabushka einige machen: Als
eines ihrer Mitglieder 2009 wegen des Engagements der Band
ins Gefängnis musste, sammelten die Mitglieder von Pussy Riot
Geld für den inhaftierten Künstlerkollegen. Jetzt sind es die Aktivist_
innen von Kissmybabushka, die in Novosibirsk Zeichen der
Solidarität mit den inhaftierten Frauen von Pussy Riot setzen.
SaZ: Im vergangenen Jahr wurden drei junge Frauen verhaftet,
nachdem sie in einer Kirche vor dem Altar ein „Punk-Gebet“
gegen Kirche und Staat, gegen Abtreibungsverbot und „Gottesscheiße”
veranstalteten. Die Anklage lautete auf „Rowdytum
aus religiösem Hass“. Kannst Du beschreiben, was genau
passiert ist?
Kissmybabushka: Einige Zeit vor der Wahl Putins veranstaltete
die Gruppe Pussy Riot in der Christ-Erlöser-Kathedrale dieses
„Gebet“. Die Kathedrale in Moskau gilt als die wichtigste Kirche
Russlands, in ihr finden die offiziellen Gottesdienste statt,
an denen Putin teilnimmt und welche im Fernsehen übertragen
werden.
Das war nicht die erste Aktion der Punk-Feminist_innen, im
Laufe des vorhergehenden Winters machten sie einige ähnliche
Aktionen – in der U-Bahn, auf dem Dach einer Straßenbahn,
in Modegeschäften und Bars (alle selbstverständlich nicht legal).
Kurz bevor der Patriarch Kyrill alle Orthodoxen aufforderte, bei
der Wahl Putin zu unterstützen, äußerte er : „Orthodoxe Menschen
gehen nicht auf Kundgebungen“.
Waren denn eigentlich solche Folgen vorhersehbar?
Diese Folgen waren nicht vorhersehbar, erwartbare Strafen, im
schlimmsten Falle, waren 15 Tage Arrest, was bei politischen
Aktionen oft verhängt wurde. In den Kirchen traten nun die
Priester auf und erklärten, dass es nötig ist, die „Heimat vor der
Lästerung zu schützen“, in Moskau führte der Patriarch einen
„Versammlungs-Gottesdienst“ gegen Pussy Riot an, d.h. die
„Unzufriedenheit“ wurde bewusst angeheizt.
Wie gestaltet sich Eure Arbeit vor Ort? Gibt es Einschränkungen
bei der Unterstützungsarbeit? Wie viele Teilnehmer_
innen beteiligen sich in Novosibirsk und wie gefährlich ist die
Arbeit dort?
In Novosibirsk wurde im April eine Kundgebung zur Unterstützung
der jungen Frauen verboten. Seitdem wurden in der Stadt
praktisch keine Kundgebungen mehr direkt verboten – stattdessen
denken sie sich Gründe aus, wie z.B., dass der Platz bereits
besetzt sei oder ähnliches.
Im März platzierten wir einige Plakate zur Unterstützung der
Gruppe in Werbeanlagen. Dafür, dass sie eine Ähnlichkeit mit
Ikonen hatten, habe ich drei Anzeigen erhalten („wegen Beleidigung
religiöser Gefühle“). Später haben wir T-Shirts mit diesen
Bildern bedruckt und dann auf Konzerten verkauft, um Pussy
Riot Geld ins Gefängnis schicken zu können.
Polizisten in Zivil haben T-Shirts gekauft und daraufhin noch
einmal mehrere Anzeigen gegen mich gestellt – wieder aufgrund
der „Verletzung religiöser Gefühle“ (für jedes T-Shirt
eine Anzeige). Diese Dinge sind bisher nicht zur Anklage gekommen,
und dafür droht nur eine verhältnismäßig geringe Strafe
(für die Plakate in den Leuchtkästen im Sommer musste ich nur
1000 Rubel (ca. 25 Euro) zahlen). Im Vergleich zu den zwei Jahren
Gefängnis, welche die Frauen gekriegt haben, ist das lächerlich.
Jetzt gerade beschäftigt sich das Parlament allerdings mit
http://www.moukhin.ru
21
Straßen
aus
Zucker
einem neuen Gesetz, um die Verletzung religiöser Gefühle mit
drei Jahren Gefängnis ahnden zu können. Neben uns gibt es
noch ein Dutzend linker und liberaler Aktivist_innen, die auch
Pussy Riot unterstützen.
Zur Frage der Sicherheit: Die Situation ist ein bisschen angespannt,
aber ich glaube nicht, dass wir wirklich festgenommen
werden. Auch wenn ich selbst vor drei Jahren im Zusammenhang
mit einer Aktion zum ersten Mai im Gefängnis saß, wegen
untergeschobener Drogen.
Wie seid ihr politisiert worden?
Vor acht Jahren waren die ersten Wahlen, für die ich mich interessiert
habe. Ich habe verstanden, dass das eine Imitation ist,
zudem noch eine sehr schlecht gemachte: Niemand zweifelte,
dass Putin siegen wird, die anderen Parteien haben nicht mal
ihre Kandidat_innen aufgestellt.
Mir gefielen anarchistische Ideen und seit dem zähle ich mich zu
den Linken, aber leider interessiert sich hier fast niemand dafür.
In den deutschen Medien werden „Pussy Riot“ gewöhnlich als
Punk-Gruppe oder als Aktivistinnen beschrieben, die feministische
Stoßrichtung der Gruppe findet seltener Erwähnung.
Ja, auch im Prozess spielte das keine Rolle, selbst die Rechtsanwält_
innen von Pussy Riot haben die feministische Komponente
der Aktion ignoriert und die Aufmerksamkeit nur auf den Protest
gegen Putin gerichtet. Das wird sich jetzt mit neuen Anwält_
innen hoffentlich ändern. Spannend für eine feministische Einschätzung
ist auch, dass bei der Aktion in der Kirche nach den
„Hintermännern“ gesucht wurde – schnell kam der Mann einer
der Frauen von Pussy Riot in den Blick der Justiz. Die Frauen
als eigenständig handelnde Personen wahrzunehmen, das geht
nicht in den Kopf eines Sexisten.
Es ist ein Spiel mit dem rebellischen Image: Madonna und
andere VIPs verkünden ihre Solidarität. Für Pussy Riot zu sein
ist hip. Was hältst Du davon?
Es gibt tatsächlich Leute, die Pussy Riot nur dieser Mode wegen
unterstützen, aber, ich denke erstens, solche Leute bilden nur
5-10 % der Unterstützer_innen und zweitens ist es nicht die
allerschlechteste Mode.
Es wirkte in Deutschland schnell so, als wären alle für Pussy
Riot. Doch wie das in der deutschen Öffentlichkeit verhandelt
wurde, war teilweise ziemlich eklig. Da wird die russische
Bevölkerung rassistisch als rückständig und traditionell dargestellt,
um sich selber als Hort der Meinungs- und Redefreiheit
in Europa auf die Schultern zu klopfen. Und weit geht die
Unterstützung von Pussy Riot auch nicht: Als der Preis „Das
unerschrockene Wort“ der Stadt Wittenberg an die Band vergeben
werden sollte, wehrten sich dann schnell deutsche Kirchenvertreter
und meinten: „Eine Lutherstadt sollte keine Gotteslästerung
ehren“. Auch in Deutschland forderten in letzter
Zeit viele Medien strengere Regeln gegen Blasphemie. Erleben
wir gerade einen religiösen Rollback?
Die Kirche hat den Fall zu nutzen gewusst, aber gleichzeitig
bekam sie auch viel Kritik ab. Nach der Verhaftung [von PR] sind
sehr viele Geschichten mit Finanzaffären aufgeflogen, die früher
niemand beachten wollte. Die Kirche sprach sogar davon, dass
es eine „vom Westen initiierte Welle“ gegen sie gebe.
Straßen aus Zucker sind gegen jede Form von Staat und Regierung.
Sicherlich lehnen wir reaktionäre Präsident_innen ab,
aber wir wollen uns generell nicht regieren lassen. Doch in der
deutschen Öffentlichkeit denken viele, dass das Ziel der Opposition
in Russland einfach nur eine Regierung ohne Putin ist.
Stimmt das denn? Wollen Pussy Riot einen besseren Präsidenten?
Gibt es von eurer Seite eine grundlegendere Kritik am
Staat und am Regiertwerden?
Ja, Putin ist nur ein Symbol. Niemand von uns sagt, dass wir
einen anderen Menschen auf dem Platz des Präsidenten brauchen.
Nur ein kleiner Teil der Protestierenden ist jedoch politisiert,
man kann die meisten nicht links oder liberal nennen, das
sind einfach „wütende Bürger“.
Kannst Du was dazu sagen, wie feministische Politik und wie
radikale linke Politik in Russland funktionieren?
Im Vergleich zu europäischen Maßstäben gibt es kaum eine linke
Bewegung in Russland. Ich meine die wirkliche linke Bewegung
und nicht die „Kommunistische Partei“, die praktisch nur
noch aus ihrer todgeweihten stalinistischen Scheiße besteht. Im
Grunde sind es kleine Gruppen, bestehend aus 10-12 Leuten.
Feminismus ist überhaupt exotisch. Vielleicht bin ich wirklich
übermäßig skeptisch. Aber russische Proteste kann man nicht
links nennen. Im Allgemeinen gibt es hier eine Krise mit der
politischen Selbstbestimmung. Die Leute sind enttäuscht von
der „Politik“ und suchen nach „Ehrlichkeit“ bei den Schriftsteller_
innen und Journalist_innen. Amüsant.
STRASSEN AUS ZUCKER #8 (Januar 2013) als pdf
http://strassenauszucker.blogsport.de/zeitung