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Gegen die Arbeit? Aufruf zur Diskussion

5. November 2011

Die übernächste Ausgabe der anarcho-syndikalistischen Streitschrift „Barrikade“ will sich mit den Thesen von Michael Seidman in seinem Buch „Gegen die Arbeit“ auseinandersetzen. Dazu hat die Redaktion der Barrikade einen Aufruf verfasst, durch den eine möglichst große Beteiligung an dieser Debatte erreicht werden soll. So heißt es zum Buch: „Für Genoss~innen, die sich an Kollektivität der Klasse weiterhin orientieren und Klassenkampf und Arbeitersolidarität als Leitmotiv ihrer Aktivitäten sehen, ist die Intention dieses Buches ein Schlag ins Gesicht, denn Seidman propagiert ganz offen den Individualismus: »Individualität ist das Einzige, was Menschen gemein haben.«“

„Anders als frühere Generationen von Linken, die davon ausgingen, dass die ArbeiterInnen für die Revolution arbeiten würden, sind sich viele ihrer heutigen Erben darüber im Klaren, dass das größte Problem vielleicht nicht darin bestehen könnte, die Bourgeoisie zu stürzen, sondern darin, die Lohnabhängigen dazu zu bringen, für die Sache zu arbeiten.“

Vortragsmanuskript Michael Seidman, nach GWR #363 – November 2011

Aufruf der Barrikade zur ausführlichen Diskussion dieses Buches!

Lest es und schreibt uns Eure Meinung dazu, gerne ausführlich. Wir finden es schon erstaunlich, daß dieses 20 Jahre alte Buch nun veröffentlicht wird – ausgerechnet von der Graswurzelrevolution und übersetzt von einem FAU-Mitglied (sic!). Seidman selbst stellt in seinem aktuellen Vorwort heraus (2011), daß sich mittlerweile die wissenschaftlich-soziologischen Betrachtungsweisen geändert hätten und sein Buch ‚Gegen die Arbeit‘ »den kollektiven Charakter des Widerstandes gegen die Arbeit« überbetont hätte. Es vermochte nicht, die »individualistischen Grundlage der Verweigerungen« herauszuarbeiten und damit seine „Geschichte von unten“ auf »eine solidere Grundlage zu stellen«. Recht hat er – auch wenn sein Buch sicherlich »sachdienlich« und diskussionswürdig ist.

Für Genoss~innen, die sich an Kollektivität der Klasse weiterhin orientieren und Klassenkampf und Arbeitersolidarität als Leitmotiv ihrer Aktivitäten sehen, ist die Intention dieses Buches ein Schlag ins Gesicht, denn Seidman propagiert ganz offen den Individualismus: »Individualität ist das Einzige, was Menschen gemein haben.« (Leitmotiv seines Buches ‚The Republic of Egos‘, 2002). Bezeichnenderweise belobhudelt  Karl Heinz Roth dieses Buch mit einem überschwenglichen Vorwort. Das macht die Sache mehr als bedenklich. Er versteigt sich zu folgende absurden Theorie: »… die ArbeiterInnen verweigerten ihren neu installierten Arbeiterregimes die Gefolgschaft« und »In Spanien avancierte die CNT zum Vorreiter einer repressiven Wiederherstellung der Arbeitsdisziplin, und die Volksfrontregierung fuhr unter dem Einfluss des Syndikalismus einen weniger harten, aber dennoch ebenfalls eindeutigen Disziplinierungskurs.«

Michael Seidman: Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936–1938. Verlag Graswurzelrevolution 2011, 482 Seiten, ISBN 978-3-939045-17-5, Preis 24,80 Euro

Wer sich das Buch nicht kaufen kann oder will findet das Redemanuskript zu seiner Veranstaltungstour hier online bei der Graswurzelrevolution.

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Ausgabe Nummer 6 der Barrikade erscheint in Kürze…

23 Kommentare leave one →
  1. 5. November 2011 22:57

    „und die Volksfrontregierung fuhr unter dem Einfluss des Syndikalismus einen weniger harten, aber dennoch ebenfalls eindeutigen Disziplinierungskurs“

    zumindest diesem Teil kann ich etwas abgewinnen, immerhin wurde unter der Volksfrontregierung die freien Milizen in strikte Militäreinheiten umgewandelt (zugegebenermaßen einer von vielen Punkten).

    Allerdings finde ich es entnervend schon wieder über Spanien zu schreiben:

    „The anarchists of revolutionary Spain would probably rather fight our struggles today, than spend so much time discussing theirs. The Spanish anarchists were just regular folks, and they did exactly what we’ll do when we get the opportunity.“ -Curious George Brigade (CrimethInc.)

  2. 7. November 2011 15:22

    Industria del Espectáculo de Barcelona colectivizada CNT. En la brecha 1937

  3. anarchoente permalink
    7. November 2011 18:59

    Wenn ihr wirklich eine Diskussion und kein Rumgedisse wollt, dann solltet ihr vielleicht auch einen objektiven Aufruf dazu verfassen.

  4. franz permalink
    11. November 2011 11:27

    butthurt, workerists?

  5. 11. November 2011 12:53

    Eine PDF des in der Graswurzelrevolution Nr. 363 (November) abgedruckten „Gegen die Arbeit“-Vortragsmanuskripts von Michael Seidman findet sich jetzt (mit kommentierten Bildern) online unter: http://www.linksnet.de/de/artikel/27064

  6. 15. November 2011 14:13

    Ich habe über dieses Thema die Tage auch schon nachgedacht. Wenn auch nur anhand des Graswurzel-Textes. Ich denke, dass das Thema auf ein nicht unwesentliches Dilemma des Anarchosyndikalismus hinweist: Wenn eine industrielle Produktionsweise nicht ohne industrielle Disziplin und Disziplinierung möglich ist, muss man sich entweder eingestehen, dass auch eine herrschaftslose Gesellschaft auf gewisse kollektive Zwänge angewiesen ist, oder eben die industrielle Produktionsweise aufgeben. Da mir letzteres keine Option zu sein scheint, weil wir eben nicht alle Jäger und Sammler werden können, bleibt für mich nur ersteres übrig. Was für mich persönlich letztendlich auch kein entscheidendes Problem darstellt, da ich nicht zu den Anarchisten gehören, die unter Anarchie die Utopie grenzenloser (und somit zwangsläufig antagonistischer) individueller Freiheit verstehen. Aber es ist halt schon ein Schritt zu sagen, dass sich auch in der Anarchie wohl individuelle und kollektive Bedürfnisse miteinander vermittelt werden müssen und dabei durchaus Konfliktpotential besteht.

    • Granado permalink
      16. November 2011 15:25

      Zwischen Wildbeutern und Industrie gibt’s immerhin noch Handwerker und Ackerbauern.

  7. 16. November 2011 00:39

    Das Langweiligste der Welt

    Die Gewerkschaft als Mittel der Transformation. Zur Theorie der gesellschaftlichen Veränderung im Syndikalismus.

    Debatten über gesellschaftliche Transformationsstrategien stehen wieder hoch im Kurs. Vor allem die non-parlamentarische Linke bricht langsam mit dem gewohnten Unisono und macht sich tastend auf die Suche. Betriebliche und soziale Kämpfe, die Ökonomie als Kampffeld und Klassenfragen rücken immer mehr in den Mittelpunkt und lösen den narzisstischen Ansatz einer Politik des „richtigen Bewussteins“ allmählich ab. Dieser Trend kann durchaus als Indiz dafür verstanden werden, dass das syndikalistische Konzept etwas zu bieten hat, was die heutigen Erfordernisse einer emanzipatorischen Bewegung betrifft.

    Dennoch wird der Syndikalismus häufig als relativ konzeptionslos wahrgenommen, seine Annahmen und Folgerungen sind wenig bekannt bis verkannt – ein Umstand, der mit Sicherheit auch auf die eigene mangelnde Theoriepflege zurückzuführen ist, die einer klaren Artikulation im Wege steht. Jahrzehntelange Prägung durch graue Literatur, die häufig nur eine Kanonisierung von Phrasen darstellte und sich zudem vielfach auf (Früh-)Theoretiker eines allgemeinen, häufig diffusen Anarchismus beschränkte, haben ihre Spuren hinterlassen. Originäre Theoriebeiträge aus dem bewegungsspezifischen Konzept „Syndikalismus“ gingen häufig unter. So kursierten im modernen Syndikalismus zwar allerorts die zentralen Schlagwörter (Selbstorganisation, direkte Aktion, Föderalismus usw.), doch traten sie einem meist nur als grobe und somit breit interpretierbare Hüllen entgegen.

    Auch die FAU war lange davon geprägt und entfaltete ihr syndikalistisches Profil erst allmählich. Einiges ist noch aufzuholen, denn das hinterlassene Erbe ist reichhaltig. Es beinhaltet nicht wenige Überlegungen, die in vielerlei Hinsicht auch den Marxisten das Wasser reichen können, denen ja eine Führungsrolle in Sachen revolutionärer Theorie nachgesagt wird. Der Syndikalismus glänzt dabei vor allem im Bereich der Organisationsfrage und der Revolutionstheorie, wo schon früh Feststellungen kursierten, die sich mit Erkenntnissen aus der modernen Soziologie decken. Man könnte sogar sagen, dass die syndikalistische Gedankenwelt ein originäres Erklärungspotential in sich trägt, das nicht nur zu einem besseren Verständnis über das Scheitern der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert, sondern über die Abgründe dieser Zeit generell beitragen kann.

    Sicher, der Syndikalismus war ursprünglich weniger ein Projekt, das aus der Theorie erwachsen ist. In einer Art Reflexion seines Erfolges, der gewissermaßen „das Resultat einer langen Praxis [war], die durch die Verhältnisse geschaffen wurde“ (V. Griffuelhes), entwickelte sich jedoch ein theoretisches Grundgerüst, in dem die wesentlichen Grundsätze und die Wirkmechanismen des Syndikalismus definiert wurden.(1) Geschah dies mitunter auch unzureichend, so bleibt der eigentliche Kern seiner Ideen davon unberührt. Sein Niedergang und seine lange Marginalität mögen es erschweren, das Interesse auf ihn zu lenken; als „historischer Verlierer“ ist sein Gehalt aber nicht unbedingt falsch.(2)
    Olle Kammellen frisch serviert – der Marxismus-Disput als Strukturfrage

    Für viele leidig, aber unumgänglich: Die syndikalistische Konzeption lässt sich am besten verstehen, wenn man sie in den Kontrast zu anderen Konzepten revolutionärer Emanzipation stellt, insbes. zum politischen Marxismus.(3) Denn der Syndikalismus, dessen Grundlagen sich im Rahmen der Ersten Internationale herausbildeten, verstand sich von Anfang als Gegenentwurf zum Organisations- und Revolutionsmodell des Marxismus. Wesentlich beeinflusst durch die anarchistische Tradition der frühen Arbeiterbewegung, von französischen Syndikalisten wie Émile Pouget als eigenständiges Konzept theoretisch umrissen und im frühen 20. Jahrhundert international zu seinem Höhepunkt gelangt, behielt er trotz aller Radikalität (oder besser: gerade deswegen) eine starke Ablehnung gegen die marxistischen Organisationen – zunächst die der Sozialdemokratie, später auch die der Kommunisten – bei. Zugrunde lag dem die Annahme, dass bestimmte Organisationsformen und Methoden nicht für emanzipatorische Prozesse geeignet seien, da sich aus ihren Grundkonfigurationen Eigendynamiken entwickeln, deren tatsächliche Effekte selbst den ehrbarsten Zielen zuwiderlaufen. Mit der Behandlung dieser Struktur- und Methodenfrage antizipierten Anarchisten/Syndikalisten gewissermaßen die spätere Organisationssoziologie, wie sie z.B. von dem Politologen Robert Michels entwickelt wurde.(4)

    Was unsere Vorfahren eher intuitiv formulierten, weiß die moderne Soziologie, die sich dem Zusammenhang von Handlung und Struktur widmet, zu bestätigen: Denn die tatsächliche Praxiswirkung wird entscheidend herbeigeführt durch die Strukturen von Organisationen; sie wirken konstitutiv, kanalisieren Interaktionsprozesse und bestimmen das Feld und die Form des aktiven Handelns. Zum anderen wirkt das damit verbundene politisch-strategische Konzept sozialisierend; es befördert bestimmte Rationalitäten, Mentalitäten und Bewusstseinsformen.(5) Intention und Funktion einer Organisation oder gar Bewegung sind somit klar voneinander zu trennen.

    Auf dieser Ebene findet sich denn auch ein entscheidender Schlüssel, um z.B. die Degeneration der sozialistischen Revolutionen zu erklären. Weder erklärt sich deren Tragödie durch falsche Personalentwicklungen (z.B. ob Lenin, Trotzki oder Stalin) noch durch spezifische politische Entscheidungen, die bspw. auf Grundlage einer falschen Marxismusinterpretation getroffen worden seien. Der Lauf der Geschichte ist keine Frage der richtigen Analyse. Kollektive Prozesse der Integration, Oligarchiebildung, Machtdynamik usw. sind größer als der Handlungsspielraum einzelner Persönlichkeiten, der wesentlich durch die umgebenden Strukturen bedingt ist. Die sog. „antiautoritäre“ Kritik am Marxismus war deshalb niemals ein moralischer Selbstzweck, sondern galt immer dem Zusammenhang von Struktur bzw. Methode und Wirkung.

    Die häufig im innerlinken Disput zu hörende Aussage: „Wir wollen doch das Gleiche!“ geht insofern völlig am Thema vorbei. Es geht nicht darum, was die vermeintlich gemeinsame Zielvorstellung ist. Der noch so gefestigte Glaube an das richtige Reiseziel nützt dem Zugreisenden nichts, wenn er sich auf dem falschen Gleis befindet. Syndikalismus kann deshalb auch als Versuch verstanden werden, den zum Ziel führenden Streckenverlauf ausfindig zu machen.

    Versucht man nun, die Eckpunkte der syndikalistischen Konzeption zu systematisieren, so kristallisieren sich verschiedene Aspekte heraus, deren Implikationen sich gegenseitig bedingen und insofern nicht klar voneinander zu trennen sind:
    1. Bestimmung des Kampffeldes

    Der Syndikalismus lehnt das Primat des staats- und parteipolitischen Kampfes ab und betont die Notwendigkeit der ökonomischen Aktion. Dem zugrunde liegt das Verständnis, dass die gesellschaftlichen Machtverhältnisse wesentlich (doch nicht nur) durch die Produktionsverhältnisse bestimmt sind – ähnlich der materialistischen Gesellschaftsauffassung der Marxisten. Der Syndikalismus zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Menschen am meisten Gegenmacht in ihrer Rolle als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen und nicht als Bürger entfalten können. Denn „in dieser Eigenschaft sind sie nicht nur in der Lage, ihre Arbeitskraft zurückzuhalten, sondern auch die Produktionsmittel und die Verteilung demokratisch zu übernehmen.“(6) In ihrer Rolle als Bürger, in der sie vermeintlich gleich und frei wären, sind sie überwiegend auf indirekte politische Betätigung zurückgeworfen, die den Hebel nicht an der gesellschaftlichen Basis ansetzt. Eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft ist jedoch im Wesentlichen eine materiell-ökonomische Angelegenheit. Das ist die ganze Quintessenz, wenn es um den Gegensatz zwischen proletarischem und bürgerlichem Standpunkt geht. Der anscheinend für viele irreführende Begriff des Klassenkampfes kann insofern gerne als die Methode des ökonomischen Kampfes übersetzt werden.

    Auch der häufig als ausschließend empfundene Begriff der „Arbeiterklasse“ oder „Arbeiterbewegung“ ist durchaus nicht hermetisch gemeint (7), sondern dynamisch zu verstehen. Er ist keine Kategorie, die empirisch genau zu bestimmen ist und in die sich Menschen definitiv rein- oder rausrechnen lassen. Cornelius Castoriadis bringt es auf den Punkt: „Das Proletariat ist keine durch seine Lage innerhalb der Produktionsverhältnisse objektiv oder durch seine historische Mission mythologisch definierte Klasse. Es erzeugt sich als Proletariat im und durch den alltäglichen Kampf gegen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse.“(8) Zwar kann die Stellung zu den Produktionsmitteln und die direkte oder indirekte Lohnabhängigkeit als vages Kriterium gelten (9), die Sondierung erfolgt praktisch aber in den alltäglichen Interessenkonflikten. Ein mangelndes Bewusstsein über diese Interessen sagt erst mal noch nichts über Existenz von Klassen aus. Marx kannte dafür die Begriffe der Klasse „an sich“ und „für sich“. Wenn von der Arbeiterklasse als „revolutionärem Subjekt“ die Rede ist, sollte das deshalb nicht so verstanden werden, sie besitze per se das bessere Bewusstsein.(10) In unserer Rolle als ArbeiterInnen – das ist der springende Punkt – haben wir nunmal „die Möglichkeit zur Revolution“, eben aufgrund dessen, den Hebel an den Produktionsmitteln, dem kapitalistischen Fundament also, ansetzen zu können.(11)

    Die Trennung von politischem und ökonomischem Kampf (Partei – Gewerkschaft), wie sie die marxistische Bewegung praktizierte (12), wird in Konsequenz vom Syndikalismus abgelehnt. Stattdessen sollen mit ökonomischen Mitteln gesellschaftspolitische Ziele erreicht werden. Die revolutionäre Gewerkschaft wird dabei als die passende Organisationsform, als Dreh- und Angelpunkt gesellschaftlicher Veränderung, angesehen. Nicht zu unrecht bediente sich der frühere ITF-Sekretär Edo Fimmen aus dem Fundus des Syndikalismus, als er ab 1924 für die Einheit des ökonomischen und politischen Kampfes in Form revolutionärer Gewerkschaften warb. Er sah darin nicht nur den Unterbau für sozialrevolutionäre Prozesse, sondern war sogar der Meinung, dass nur mit diesem Organisationsansatz die Arbeiterbewegung eine Waffe in der Hand habe, um gegen die Gefahren der Reaktion (insbes. des Faschismus) handlungsfähig zu sein.(13)
    2. Die Wahl der Waffen

    Analog zur Bestimmung des Kampffeldes propagiert der Syndikalismus das Konzept der „direkten Aktion“, also ein direktes Eingreifen in die ökonomischen und sozialen Zusammenhänge ohne den Umweg über eine Partei und den Staat (indirekte Methodik). Verstanden als Gegenkonzept zu einer Politik der Stellvertretung, sollen Menschen unmittelbar zur Durchsetzung ihrer Interessen tätig werden, z.B. in Form von Streiks (auch politischen). Durch diese real-ökonomische „Repräsentation der Arbeit“ behält die Arbeiterklasse ihre Autonomie und macht sich nicht von Parteiapparaten abhängig, so dass sie den revolutionären Prozess jederzeit selbst bestimmt. Dies verdient einige Beachtung, denn es ist von größter historischer Relevanz:

    Mit der Hegemonalisierung des arbeitsteiligen Konzeptes des Marxismus in der Arbeiterbewegung, das die Rolle der Gewerkschaften auf systeminterne Ausgleichsprozedere reduzierte, wurde die „eigentliche Arbeiterbewegung“, wie Engels einst die ökonomischen Kampforganisationen der Arbeiterklasse nannte, deaktiviert und entwaffnet. Denn ihre Macht lag im Wesentlichen im Produktionsbereich; der aber wurde entpolitisiert durch das arbeitsteilige Konzept, das politische Artikulation nur auf „bürgerlichem“ Wege, d.h. qua Stellvertretung durch die Partei, zuließ. War die Arbeiterbewegung einst auf sozialer Grundlage erwachsen, wurde sie so ideologisiert und zu einem Anhängsel von politischen Organisationen, wodurch eine Selbstgenügsamkeit der Bewegung (Autonomie) nicht mehr gegeben war. Es gibt gute Gründe zu behaupten, dass der Arbeiterbewegung – als sie sich von einer staatsorientierten Politik abhängig machte und in Konsequenz ihre Organisationen schrittweise in staatliche Strukturen und Prozesse eingebunden wurden – auch ein wichtiger zivilgesellschaftlicher Raum mit gesellschaftspolitischer Impulswirkung verlorenging.(14) Dies ist ein Umstand, der uns v.a. in Deutschland noch heute belastet, wo die arbeitsteilige Tradition stets vorherrschend war. Das Unvermögen für politische Streiks rührt nicht unwesentlich daher.

    Als „Partei der Arbeit“ (15) sind „Taktik und Organisationsform [des Syndikalismus] originär“. Denn „auf dem neutralen Feld der Wirtschaft … verlieren die neu hinzustoßenden Elemente, die von dieser oder jener Denkschule … geprägt sind, ihre besondere Eckigkeit, um nichts als die allen gemeinsamen Prinzipien zu bewahren: den Willen zur Verbesserung und zur vollständigen Befreiung.“ (16) Dieser an den unmittelbaren Interessen orientierte Ansatz markiert denn auch den wesentlichen Unterschied von einer revolutionären Organisation auf sozialer Basis zur politisch-ideologischen Organisationsform. Der Syndikalismus sieht darin die Möglichkeit, breite Massen in ein revolutionäres Projekt zu integrieren, sie zu aktivieren und emanzipatorische Potentiale freizusetzen.(17)

    Nicht zuletzt ist das Konzept direkter Aktion auch als effizientere Methode anzusehen, im Vergleich z.B. zur langwierigen parlamentarischen Tätigkeit, die Verbesserungen – wenn überhaupt – meist erst nach einem Erlangen von Mehrheiten zulässt.(18) Auch die vorherrschende, gewissermaßen doppelt indirekte Protestkultur der Linken, die fast ausschließlich der Logik folgt, über Öffentlichkeit Druck auf die Politik auszuüben oder Menschen zu „politisieren“ – z.B. in Form der allseits bekannten Gipfelproteste –, nimmt sich dagegen geradezu virtuell aus.(19) Harald Beyer-Arnesen hat dies bereits direkt nach Seattle 1999 treffend verdeutlicht: „Wenn aus jeder Gemeinde, die vom … globalen Kapitalismus … betroffen ist, eine Person unter den Protestierenden … wäre, wären sie am falschen Ort …, um Veränderungen … zu erreichen.“(20) Oder anders ausgedrückt: Was sind schon eintausend Demonstranten gegen eintausend Streikende? Die „syndikalistische Artikulation“ ist dabei durchaus ein Mittel, das nicht nur in rein ökonomischen Belangen, sondern auch auf anderen sozialen Kampffeldern (Ökologie, Anti-Militarismus usw.), zum Einsatz kommen kann.(21)
    3. Willen und Organisation

    Im Gegensatz zum zentralistischen Organisationsverständnis sieht der Syndikalismus mit seinem Föderalismuskonzept eine weitgehende Selbständigkeit der Basiseinheiten vor. Der Syndikalismus, so meinte Camus, geht „von der konkreten Grundlage aus“; „er ist die Verneinung des bürokratischen und abstrakten Zentralismus“.(22) Pouget sprach vom „syndikalistischen Organismus“, bei dem auf jeder Ebene die Autonomie verwirklicht sei.

    In der Tradition Proudhons, der den Föderalismus als „empirischen Typ der Ordnung“ begriff, sieht man im Föderalismus – als Abbild der sozialen und kulturellen Pluralität – den Garanten für eine vitale, dynamische Bewegung und gesellschaftlichen Fortschritt, während der Zentralismus – als Minderheitenimpulse nivellierendes Prinzip – zu Machtkonzentrationen und sozialer Erstarrung führt.(23) Im Syndikalismus „kommt der Impuls von bewussten Minderheiten, die – durch ihr Beispiel, ihren Elan, und nicht durch autoritäres Vorgehen – die prüde Masse in ihren Bannkreis ziehen und zur Tat animieren.“(24) Tatsächlich zeigt sich in der Geschichte immer wieder, dass einzelne beschränkte Kämpfe inspirierend wirken und blitzartig ganze Flächenbrände auslösen können.(25) Denn „wenn sie erfolgreich sind, verbreiten direkte Aktionen eine Nachricht, die über ihre unmittelbaren Ziele hinausgeht und die die eigentliche Saat einer libertären, sozialen Revolution mit sich trägt“ (Beyer-Arnesen).

    Von Anfang an verstand sich der Syndikalismus als „antiautoritärer“ bzw. „freiheitlicher“ Flügel der Arbeiterbewegung; die Kategorien von Freiheit und Mitbestimmung wurden von ihm als unerlässliche Bedingung für die Realisierung des Sozialismus verstanden. Statt hierarchischem Aufbau soll die Entscheidungsgewalt auf unterer, lokaler Ebene bleiben, so dass die Mitglieder nicht ihre Freiheit an die Organisation veräußern, sondern sie miteinander teilen. Als entscheidendes Instrument gilt das Prinzip des imperativen Mandates, wonach die Entscheidungen ausschließlich von der Basis nach oben zu delegieren und gewählte Funktionäre jederzeit absetzbar sind.

    Die Tragweite dieses Aspekts darf nicht unterschätzt werden: Denn neben der Frage nach revolutionärem Zweck und Mitteln und einer effizienten Kampfform ist hierbei v.a. die psychologisch-kulturelle Komponente essentiell. Das Prinzip der direkten Aktion und die föderalistische Organisationsstruktur sollen selbstbewusste, partizipierende und aktive Mitglieder herausbilden (26) und eine Verselbständigung von „Führern“ verhindern.(27) Deswegen war für die Syndikalisten der Sozialismus auch schon immer eine „Kulturfrage“. Sie kritisierten die meisten marxistischen Organisationsformen deshalb auch dahingehend, dass sie Agenturen der Sozialdisziplinierung seien. In der Tat gibt es gute Gründe zu behaupten, dass z.B. die deutsche Arbeiterbewegung durch diese maßgeblich einer Disziplinierung und Entmündigung unterworfen wurde.

    Die aktuellen Lektionen aus Frankreich mögen das verdeutlichen: Wie selbst Die Welt richtig feststellte, werden Konflikte in Deutschland „traditionell nicht vor Ort, sondern zentral von den Großverbänden ausgefochten. Anders [ist] das in Frankreich, wo die „direkte Aktion“ der Gewerkschaften im Betrieb eine wichtige Rolle [spielt].“(28) Die Folge dessen ist, dass sich Basisdynamiken nicht selten Bahn brechen, häufig in Form radikaler Methoden und weitgehender Forderungen. In Deutschland dagegen werden solche Prozesse durch die zentralisierte Struktur nicht nur gedeckelt, sie haben über die Zeit auch eine Kultur der Passivität geschaffen, so dass die Basis auch von der Führung nur schwer zu mobilisieren ist.

    Auch „Iron Lady“ Maggie Thatcher hatte die Bedeutung dieser Strukturfrage früh erkannt und zog nicht umsonst den Gewerkschaften in Großbritannien den Zahn, indem sie einfach deren Verhandlungsstrukturen per Gesetz zentralisieren ließ. In Anlehnung an soziologische Erkenntnisse (29) vertreten neoliberale Sozialtheoretiker tatsächlich die Auffassung, es bedürfe strikt zentralisierter Gewerkschaften, um die aus den Klassenantagonismen entspringenden Dynamiken in kontrollierbare Bahnen zu kanalisieren.(30) So betrachtet, erfüllen Strukturen wie die des DGB tatsächlich, unabhängig von ideellen Absichten, eine den Kapitalismus stabilisierende Funktion.
    Blick in die Ferne: die Revolutionstheorie

    Alle bisher genannten Elemente des Syndikalismus spiegeln sich denn auch in seiner revolutionären Strategie wider, die nicht auf eine politische, sondern eine soziale Revolution abzielt. Rocker spricht in diesem Zusammenhang von „der Eroberung der Betriebe und des Grund und Bodens“ anstelle der politischen Macht.(31) Der Syndikalismus vernachlässigt „diesen äußerlichen Ansatz … [Er] arbeitet an der Veränderung der Mentalitäten, der Gesellschaftsformen und der wirtschaftlichen Beziehungen.“(32) Die Transformation der Gesellschaft soll somit radikal sein, also an ihren Wurzeln, an der sozioökonomischen Basis erfolgen. Orientiert man sich an Marx´ Basis-Überbau-Schema, wonach die ökonomische Basis den Überbau einer Gesellschaft bestimme, so lässt sich getrost behaupten, die Syndikalisten haben die Revolutionstheorie des politischen Marxismus – wonach der Staat erobert werden müsse, um die ökonomische Basis umzugestalten – vom Kopf auf die Füße gestellt.(33)

    In der syndikalistischen Theorie stellt die Aneignung der Produktionsmittel durch die Arbeiterklasse selbst die ultimative direkte Aktion dar.(34) Den Gewerkschaften kommt dabei vor allem die Rolle zu, Produktion und Konsumption neu zu organisieren, nach den Prinzipien des Föderalismus und der Partizipation. Der „syndikalistische Organismus“ soll den sozioökonomischen Organismus ablösen und ersetzen. Die syndikalistischen Organisationen sollen deshalb schon in der vorrevolutionären Phase der „Embryo der kommenden Gesellschaft“ sein. Zu diesem Zwecke kann er sogar bereits in der Gegenwart eigene alternative Wirtschaftsstrukturen integrieren.(35) Die „Rekonfiguration der Gesellschaft“ (Van der Walt & Schmidt) muss dabei nicht auf das Ökonomische beschränkt bleiben; in Form von Sozialorganisationen können auch spezifische Gesellschaftsfelder wie die der Erziehung, des Wohnens, der Kultur usw. einbezogen werden.(36) „Die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen“ nannten das die Wobblies.

    Dieses Revolutionsmodell wird aus verschiedenen Gründen als einzig gangbarer Weg der Emanzipation angesehen. Zum einen sollte selbstverständlich sein, dass eine freie und gleiche Gesellschaft nicht mit Strukturen von Macht und Differenz erreicht werden kann. Zum anderen bergen Revolutionen tatsächlich die Gefahr von Chaos und des Umschlagens in eine Reaktion in sich. Der weit verbreitete „Anti-Chaos-Reflex“ (R. Löwenthal) hat insofern eine gewisse Berechtigung. Geradezu fahrlässig ist es, Revolution als Akt statt als Prozess zu verstehen, oder allein auf die spontaneistische Kraft der Massen zu vertrauen. Alexander Schapiro betonte deshalb einst in einer Auseinandersetzung mit der CNT, dass Umwälzungen in „provisorischen“ Institutionen die revolutionäre Entwicklung hemmen oder gar vernichten würden. Der Syndikalismus betrachtet in diesem Sinne die organische Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens als Notwendigkeit, wenn die Arbeiterklasse die Kontrolle über den revolutionären Prozess behalten, unter keiner angeblichen „Übergangsphase“ leiden und sich nicht von taktisch gut aufgestellten Usurpatoren die Butter vom Brot nehmen lassen soll. Die Geschichte hat diesen Befürchtungen vielfach recht gegeben. Der späte Karl Korsch gelangte denn auch zu der Erkenntnis, dass der Marxismus nur die „negative Seite des Sozialismus“ (Abschaffung des Kapitalismus) benannt habe. Die „positive Seite“ des Sozialismus erblickte er im Syndikalismus und seinem „konstruktiven“ Revolutionsmodell.(37)
    Aufgaben der Gegenwart

    Syndikalisten betonen die Rolle der Gewerkschaften als „Schule der Revolution“. Denn „wenn die Gewerkschaften notwendig sind für den Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit, so sind sie noch weit wichtiger als organisierte Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalherrschaft selbst,“ stellte schon der 1. IAA-Kongress 1866 fest. „Es gibt kein bloß reformistisches Element im täglichen Guerillakrieg um die Arbeitsbedingungen; wenn wir es darauf anlegen, tägliche Konkurrenz, Gefeilsche, Erpressung, Bestechung und Unterwerfung zu beseitigen, führt auch der Lohnkampf nicht zur Befriedung, sondern zur Ermutigung und Selbstorganisation.“(38) Tatsächlich: Auch das aktuelle Beispiel der CNT Sevilla zeigt, wie deren Kämpfe einen Schneeballeffekt auslösen und viele ArbeiterInnen längerfristig aktivieren.(39) Die Behauptung, konkrete Kämpfe würden zur Befriedung der Massen führen und per se eine „Affirmation“ des Systems darstellen, ist deshalb streng zurückzuweisen. Dies mag wohl für Stellvertreterapparate gelten, ganz gewiss aber nicht für Organisationsformen, die zur Basisaktivierung konzipiert sind. Die Geschichte des Syndikalismus kann diese Behauptung denn auch nicht bestätigen.

    Es ist generell ein immenses Problem der Linken, dass sie ihre Postulate für die Praxis meist nur aus abstrakten Überlegungen ableitet. Die typische „Ums Ganze“-Diskussion ist hierfür ein gutes Beispiel. Es ist wahr, dass die Überwindung des ganzen kapitalistischen Systems her muss und es keinen Frieden, keine Gerechtigkeit mit ihm geben wird. Daraus aber herzuleiten, es dürften keine konkreten Kämpfe geführt werden, ist geradezu absurd. Es verunmöglicht jegliche Praxis. Es ist „Ausdruck eines falschen Menschenbildes“ wie Dutschke einst feststellte; und erst recht verkennt es das berechtigte Bedürfnis nach konkreten Verbesserungen.

    Dennoch wird der Reformismus, worunter eine parlamentarische Strategie zu verstehen ist, sehr wohl vom Syndikalismus verworfen. Zwischen Reformen selbst und einer Revolution besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil. Wohl kein Syndikalist ist der Meinung, mit alltäglichen Kämpfen um konkrete Verbesserungen ließen sich schrittweise der Kapitalismus ablösen und der Sozialismus einführen. Das Konzept, an den konkreten Interessen anzusetzen, dient vielmehr der Aktivierung. Es bindet die Menschen an eine revolutionäre Organisation; in ihren alltäglichen Kämpfen werden kollektive Erfahrungen gemacht und spitzt sich das Alltagsbewusstsein zum Klassenbewusstsein zu. In solch einer Bewegung entsteht eine Parallelität von Kämpfen, die sich gegenseitig befruchten und sich letztendlich zu einer revolutionären Entwicklung verdichten können. Fast jede revolutionäre Situation in der Geschichte war die Kulmination einer Reihe von ganz konkreten Kämpfen. Diese Tatsache darf man nicht vergessen. Darin besteht die Dialektik von Tageskampf und Revolution.

    Eine revolutionäre Emanzipation ist nur mit der Masse der Gesellschaft möglich. Wer mit dieser nicht „arbeiten“ will, hat grundlegende Veränderungen bereits abgeschrieben. Das ist eine große Crux der heutigen Linken. Die Politik der Freiräume und des richtigen Bewusstseins hat sich als tiefe Sackgasse erwiesen. So wichtig auch bestimmte Freiräume sind, als die radikale Linke sich ausschließlich auf diese zurückgezogen hatte, hat sie auch eine zweite Freiraumsphäre geschaffen: nämlich die vollständige Abwesenheit emanzipatorischer Unterschwelligkeiten in der Mehrheitsgesellschaft. Über reaktionäre Entwicklungen muss man sich dann nicht wundern. Eine Bewegungskonzeption, die erst mal an den Interessen und nicht ideologisch am Bewusstsein ansetzt, bietet die einzige Perspektive, breite gesellschaftliche Prozesse zu radikalisieren.

    Das geradezu Geniale am Syndikalismus ist, dass er sich nicht zwangsläufig am revolutionären Erfolg messen muss. Er verfolgt eine Emanzipationslinie, „ohne die Gegenwart der Zukunft oder die Zukunft der Gegenwart zu opfern“ (Pouget). Er kann im Rahmen jeglicher Gesellschaftsverhältnisse seine Position bestimmen und die momentan erforderliche Aufgabe angehen. Heute besteht diese in erster Linie darin, überhaupt Strukturen gewerkschaftlicher Selbstorganisation zu etablieren, damit sich kämpferische Dynamiken entfalten können. Auch unabhängig von einer eventuellen Machbarkeit revolutionärer Entwicklungen, kann er zumindest das jeweils Mögliche erreichen. Das Mindeste, was er z.B. in Deutschland erreichen kann, ist, mit seinem praktischen Beispiel die etablierten Gewerkschaftsapparate soweit unter Zugzwang zu setzen, dass sie sich zumindest ein stückweit klassenkämpferischer strukturieren und mehr Partizipation zulassen.(40) Wie weit es wirklich gehen kann, hängt nicht nur von unserem Willen ab.

    Sicher ist dies eine Strategie, die weniger von großen Spektakeln und wuchtigen Paukenschlägen begleitet wird. Auch das häufig artikulierte Kriterium, dass die Revolution Spaß machen soll, erfüllt sich eher selten. Aber die hohe Kunst der gesellschaftlichen Veränderung kann wohl kaum zu einer Frage solch eitler Bedürfnisse gemacht werden. Wahrscheinlich müssen wir uns wirklich die Revolution als das Langweiligste der Welt vorstellen.

    Holger Marcks

    Anmerkungen

    1) Zur syndikalist. Theoriebildung, siehe Oostinga, „Wir kriegen nur, wofür wir kämpfen!“, in: Degen & Knoblauch (Hg.), Anarchismus 2.0, Stuttgart 2009. Daraus sind auch die Zitate franz. Syndikalisten entnommen.

    2) Wie es so schön heißt: „Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit.“

    3) Hier muss klar betont werden: Zu Marx´ Theorie steht der Synd. nicht unbedingt im Widerspruch, sehr wohl aber zum (polit.) Marxismus.

    4) Vgl. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Leipzig 1911. Die Person Michels ist wegen seines späteren Werdegangs als ital. Faschist selbstredend mit Vorsicht zu genießen.

    5) Siehe z.B. das Einführungswerk von Schimank, Handeln und Strukturen, Weinheim 2002.

    6) Jakopovich, „Eine machtvolle Synthese“, DA Nr. 191.

    7) Ein häufiger Irrtum, damit seien z.B. nur klassische Fabrikarbeiter gemeint.

    8) Siehe Castoriadis, „Was heißt eigentlich Arbeiterbewegung?“, Bielefeld 1996.

    9) Oder negativ: Wer nicht im Besitz von Produktionsmitteln ist und/oder an der Arbeitskraft anderer verdient.

    10) Der sog. „Proletarierkult“ hat diese Frage lange dahingehend banalisiert.

    11) Siehe Bewernitz, „Klasse[n] von Gewicht“, in: Mümken (Hg.), Anarchismus in der Postmoderne, Frankfurt a.M. 2005.

    12) Dies geht zurück auf die Politiker Marx u. Engels, die in der IAA eine verbindliche Linie zum Aufbau von nationalen, zentral organisierten Parteien durchsetzten und mit dem Kurs des ökonomischen Kampfes und den föderalen Strukturen brachen.

    13) Siehe Fimmen, Vereinigte Staaten Europas oder Europa-AG, Jena 1924.

    14) Mit verheerenden Konsequenzen: Z.B. ist die mangelnde Resistenzfähigkeit der dtsch. Arbeiterbew. und ihre „Nationalisierung“ im frühen 20. Jh. wesentlich darauf zurückzuführen. Siehe Herr, Burgfrieden oder Klassenkampf, Neuwied/Berlin 1971.

    15) „Partei“ im alten Sinne einer Gruppe gemeinsamen Interesses oder Standpunktes.

    16) Pouget, Parti du travail, Paris 1997 [1905], S. 226.

    17) Im Ggstz. zu Organisationsformen, die „richtiges Bewusstsein“ voraussetzen. Van der Walt & Schmidt betonen dies als zentralen Punkt der „broad anarchist tradition“; siehe grundlegend deren Black Flame, Oakland 2009.

    18) Siehe z.B. zum aktuellen Problem der gesetzlichen Regelung von Praktika anstelle eines direkten betrieblichen Lösungsansatzes: Ortmann, „Das Prinzip Flächenbrand“, DA Nr. 194.

    19) Siehe Marcks, „Basis statt Gipfel“, DA Nr. 180. D.h. nicht, diese Formen wären nicht legitim; es sollte nur klar sein, dass sie bestenfalls Kommunikationsmittel sind.

    20) Beyer-Arnesen, „Direkte Aktion“, zu finden: auf http://www.fau.org (unter „Texte“).

    21) Siehe bspw. den Artikel von Jakopovich (s.o.).

    22) Camus, Der Mensch in der Revolte, Reinbek b.H. 1969, S. 241.

    23) Siehe Rocker, Über das Wesen das Föderalismus im Gegensatz zum Zentralismus, Frankfurt a.M. 1979 [1923].

    24) Pouget, S. 226.

    25) Für eine Reihe solcher Beispiele siehe Marcks & Seiffert (Hg.), Die großen Streiks, Münster 2008.

    26) Vgl. Confederacion Nacional del Trabajo, ¿Que es la CNT?, o.O. 1977, S. 16f. Dort ist die Rede von der Herausbildung eines „militanten Typus“. Pouget wiederum spricht vom „Gewerkschafter als selbständiger Persönlichkeit“.

    27) Die Entstehung von Quasi-Managerklassen, die strukturbedingt eine eigene Interessenlage und Rationalität herausbilden, darf nicht unterschätzt oder als Frage persönlicher Integrität banalisiert werden. Im Bezug auf den DGB siehe hierzu Marcks, „Hansen ist überall“, DA Nr. 189.

    28) Welt Online, „Tätlichkeiten“ (30.03.2009).

    29) Siehe grundlegend Calmfors & Driffill, „Bargaining Structure, Corporatism and Economic Performance“, Economic Policy, Nr. 6 (1988), S. 14-61.

    30) Siehe z.B. Aidt & Tzannatos, Unions and Collective Bargaining, Washington (Weltbank) 2002.

    31) Rocker, Nationalismus und Kultur, Bd. 1, S. 311 f..

    32) Pouget, S. 209.

    33) Dies markiert den Unterschied zwischen dem Konzept einer sozialen und einer politischen Revolution. Tatsächlich hat auch Lenin z.B. seine Differenz zur klassischen Sozialdemokratie im Wesentlichen nur als eine taktische Frage auf dem Weg zum Sozialismus verstanden. Die Strategie (über die politische Macht) sah er in beiden Flügeln unverändert, wobei er diese Strategie klar von der sozialrevolutionären des „Linksradikalismus“ (u.a. Syndikalismus) abgrenzte.

    34) Siehe z.B. Ramus, Generalstreik und direkte Aktion im proletarischen Klassenkampfe, Berlin 1910.

    35) Zum Konzept der Wirtschaftsföderation, siehe Marcks, „Hand in Hand“, DA Nr. 193.

    36) Siehe z.B. das Modell der „gewerkschaflichen Sozialorganisation“ der portug. Syndikalisten; Merten, Anarchismus und Arbeiterkampf in Portugal, Hamburg 1981.

    37) Siehe seine „Zehn Thesen über den Marxismus“.

    38) Gerd Fischer in der FAU-Debatte, Okt. 2006.

    39) Louis Banos hat dies auf seiner BRD-Rundreise eindrucksvoll geschildert.

    40) Siehe dazu Marcks, „Die marginale Gewerkschaft“, DA Nr. 187.

  8. Erika permalink
    16. November 2011 20:50

    …Gähn!…

    • Anonymous permalink
      16. November 2011 22:39

      😉 !!

    • 24. November 2011 01:05

      ich gebe zu ich hab es selbst noch nicht gelesen, aber frage mich jetzt schon:

      was hast du denn besseres in petto?

      lesenswertes, mein ich?

      wo sollte denn deines erachtens nach etwas mehr action sein, oder was hast du da so an vorstellungen?

      just curious.

  9. 26. November 2011 03:40

    Freizeit und Faulheit trotz Volksfront und Revolution

    Buchrezension: >>Gegen die Arbeit – über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38<>Gegen die Arbeit – über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38<<, Verlag Graswurzelrevolution, 2011.

    quelle: http://www.wobblies.de/?p=1327

  10. ARTIKELVORSCHLAG für Startseite permalink
    26. November 2011 17:16

    Wilfried Schmickler – WEITER

    (Solo Teil 1)

  11. Arbeit, Arbeit, Arbeit -- Zur Kritik des Arbeitswahns von Robert Kurz permalink
    8. Dezember 2011 00:13

    Arbeit, Arbeit, Arbeit — Zur Kritik des Arbeitswahns von Robert Kurz

    „Robert Kurz skizziert die Entstehung und Wandlung des Begriffs von Arbeit und die Notwendigkeit einer Arbeitskritik. Audiomittschnitt einer Veranstaltung in Leipzig vom 19.04.2011. Leider ist die Aufnahme übersteuert und daher an einigen Stellen eher schlechterer Qualität. Die Veranstaltung fand statt im Rahmen der Kampagne The Future is unwritten!.“

    Text & Quelle: http://arbeit.blogsport.eu/audio/

    Vortrag als MP3: http://www.zshare.net/audio/892524336fcb47a4/

  12. skeptiker permalink
    29. Januar 2012 17:30

    Auch ich vermisse nach der Lobhudelei für dieses Buch die nachdenklichen Berichte über die Buchvorstellungen.
    Nachdem ich nun dieses Buch in Händen halte, bin ich erschüttert über die miserable wissenschaftliche Qualität.
    Als erstes eine Frage an die Herausgeber. Was bedeuten die selbstkritischen Sätze aus dem Vorwort von Seidman von 2011:
    „Dieser blinde Fleck beim Persönlichen und Einzigartigen wurde verstärkt von der uptopischen Perspektive, die das Buch durchzieht. „Gegen die Arbeit“ vertrat die Auffassung, dass die Verweigerungen der Arbeiterinnen und Arbeiter eine kybernetische Gesellschaft vorwegnähmen“.
    Irgendeine Idee?

    • 30. Januar 2012 12:22

      ich kann die Schlussfolgerungen des Autors auch nicht gutheissen resp. nachvollziehen – Arbeiter, die zu den Francisten überlaufen, weil da „die Versorgung klappt“, nachdem sie in die Gewerkschaft eingetreten sind um die Produktion der Republik besser bestreiken zu können? „Gegen die Arbeit “ ist in der konsequenz eine fadenscheinige beweisführung das revolution durch die arbeiterklasse nicht zu machen wäre. also, intellektuelle, stellt euch im halbkreis auf, jeder einzelne, sonst seid ihr zu wenige! 😉

      • Beddold Bricht permalink
        31. Januar 2012 15:39

        Mh, ich glaube nicht, dass Seidmann das sagen wollte. Ist seine Schlussfolgerung nicht letztlich nur so was wie „Erst kommt das Fressen (resp. Ausschlafen), dann die Moral“? ich versteh das Buch eher als: Intellektuelle haben an die Arbeiterklasse eine bestimmte Erwartung und sind dann enttäuscht, wenn diese nicht erfüllt wird (oder wurde), anstatt mal hinzugucken, was denn die Arbeiter_innen eigentlich wollen…

  13. skeptiker permalink
    1. Februar 2012 23:53

    Ein paar Gedanken zu dem Buch „Gegen die Arbeit“. (Ich habe nicht die Absicht ein Experte für Seidman zu werden. Letztendlich sollte es darum gehen, die Themen einzukreisen, die es wirklich wert sind, zum Gesprächsthema zu werden: die Arbeit, unser Standpunkt zur Produktion für den Profit heute und welche konstruktiven Ziele wir uns stellen, wenn wir was ändern wollen.)

    Das Buch von Seidman stellt sich über weite Strecken dar als Blütensammlung unverarbeiteter Gedanken, banaler Aussagen ohne wirklichen Zusammenhang und unbelastbarer Interpretationen. Herr Seidman muß zumindest beim Verfassen des Buches ziemlich ahnungslos gewesen sein.

    Sätze wie diese finden sich zur Genüge:
    Seidman entdeckt eine Entdeckung:
    „Geschichtswissenschaftler haben entdeckt, dass die Werkstatt des 18. jahrhunderts kein goldenes Zeitalter der Arbeit barg. Klassenkonflikte, Absentismus, Fluktuation und Trunkenheit waren an der Tagesordnung.“ (S.454) – Es war noch schlimmer.

    „Arbeiter gingen nicht nur in die Fabrik, weil sie zu essen brauchten und überleben mußten, sondern zu einem unbestimmten Grade auch, weil sie die Arbeit gewählt hatten.“ (S.26) – Alles klar?

    „Die Anarchosyndikalisten und Marxisten bauten auf dem revolutionären und aufklärerischen Erbe Frankreichs auf. Hier ist nicht der Platz, ihre Haltung zur Arbeit detailliert zu untersuchen. Es genügt zu sagen … Statt aber die Arbeit lediglich mit dem Fortschritt, der Zivilisation und der Nation ineinszusetzen, wollten die Marxisten und Syndikalisten ihre Utopien am Arbeitsplatz errichten – mit der begeisterten Unterstützung der Arbeiter.“ (S.454) – Aber Platz für Geschwafel.

    Es gibt kaum Sätze, in denen Seidman nichts durcheinanderbringt.
    Aber es findet sich doch ein klarer Satz: „Mit Widerstand gegen die Arbeit meine ich sowohl individuelle als auch kollektive Aktionen, die es Arbeitern erlauben, die Fabrikarbeit zu meiden.“ (S.28) Die Alternative zu Arbeit (mit der er selber sympatisiert) ist für ihn Müßiggang und Nichtarbeiten. Das ist schon ein Standpunkt und natürlich gibt es Grund genug, es zu tun. (Gerade für ArbeiterInnen, die Tag für Tag in ungesunde, dreckige Werkstätten gehen müssen, um mit schlechten Werkzeugen an etwas zu arbeiten, was ihnen nicht gehören wird und und und) Aber es ist keine Kritik der Arbeit. Seidman stellt weder die Auffassung der Marxisten und Anarchisten zur Arbeit dar, noch seine eigene. Damit fehlt dem Buch schon mal die Grundvoraussetzung. So wie es noch keine große Kritik von Fußballspielen oder Sex ist, wenn man Fußballspielen oder Sex sein läßt. Der Ausstieg mag radikal sein aber er ist keine Lösung für die Arbeit als Grundelement jeder Gesellschaft.
    Meine Interpretation ist folgende (ich möchte sie nicht mit Aufwand durch Zitate und Erörterung belegen, vielleicht findet sie Zustimmmung von Leuten, die sich die Mühe machen das Buch zu lesen): Es geht um den Grundwiderspruch, vor dem alle Menschen stehen: Tue ich was oder tue ich nichts. Strenge ich mich für etwas an oder reicht mir Müßiggang und Vergnügen. Stehe ich in der Früh auf oder bleibe ich liegen. Seidman schreibt das auch so, er schreibt über seine „Gegner“, dass sie die Arbeiter erst durch Worte zur Anstrengung verführen wollen (und dann auch zum Zwang greifen). Auf diese Frage finden die meisten Menschen im Laufe des Älterwerdens eine Antwort oder eine Weise, damit umzugehen. Seidman ist in diesem Punkt gewissermassen in der Pubertät steckengeblieben. Für diese seine Hamlet-Frage instrumentalisiert er in meinen Augen die ArbeiterInnen. Aus der Distanz, in einer reinen Literaturarbeit, wo er sich das Thema zurechtlegen kann (und die Leser die Leerstellen erst finden müssen).

    Seidman bietet außer dem Ausstieg keine Lösung an. Keine Bemühung um Änderung der Arbeitswelt findet seine Gnade. Aus Andeutungen ist sein Hintergrund zu ahnen. Über Paul Lafargues Schrift „Recht auf Arbeit“: „… Er beurteilt die Arbeiter falsch, denn die meisten hätten nichts einzuwenden gehabt gegen seine Gesellschaftsvision, in der Maschinen die harte Arbeit erledigten, die früher von Menschen verrichtet wurde. Sein kybernetisches Utopia, in dem die Lohnarbeit abgeschafft wäre, weist einen Weg über den Arbeitsplatz-Utopismus hinaus.“ (S.457) Und sein letzter Satz „… Historiker (!) könnten daraus den Schluß ziehen, dass der Staat erst abgeschafft werden kann, wenn Lafargues kybernetisches Utopia verwirklicht wird.“ (S. 459)
    Hofft er auf Maschinen? Auf Maschinen, die Maschinen bauen? Auf eine menschenlose, selbsttätige Parallelarbeitswelt? Richtig zu etwas stehen will er nicht und seine Liebelei mit der Kybernetik nimmt er im Vorwort von 2011 mit wieder anderen Andeutungen zurück.

    Nachdem sein Buch beileibe keine Erfolgsgeschichte war, ist schon zu fragen, warum jetzt eine unveränderte Neuauflage erscheint. Erstens unverändert (Arbeitsverweigerung ?), zweitens ohne kritische Begleitung durch die Herausgeber.
    Wegen der Fakten, der reichen Materialsammlung?
    Beispiel: „Auch die spanische Revolution hatte, wie die russische, ihre Arbeitslager.“ Dazu dreieinhalb Seiten (158 – 161). Das einzige was hier ausgegraben wurde (außer dem Spiel mit den Worten „Arbeitslager“, „Konzentrationslager“, „Zwangsarbeit“, „Umerziehung“) ist, dass die Gefängnisinsassen arbeiten mußten. Und das ist für Seidman der Skandal an sich. Er zitiert selbst, dass Folter abgeschafft wurde und er gibt keine Quelle oder irgendetwas dafür an, dass die Gefangenen durch etwas anderes gequält wurden, als eben durch Arbeit. Wenn das alles ist, ist es üble Nachrede und Geschichtsfälschung. Aber es gibt sicher unsichere Menschen, die auf solche „Sensationen“ aufspringen, traurigerweise.

    Damit soll es gut sein. Nur eine Frage noch: Hat der Verlag Graswurzelrevolution eine Meinung von Walther Bernecker eingeholt, von dem der Graswurzelverlag erst 2006 ein Grundlagenwerk über die Geschichte der Sozialen Revolution in Spanien (1936-1939) wiederaufgelegt hat? Aber ich vermute, dass sich Wissenschaftler zu Werken von dilletantischen Kollegen grundsätzlich nicht äußern.

  14. 2. April 2012 15:04

    Lob der Individualität
    Michael Seidman`s „Gegen die Arbeit “

    besprochen von Peter Nowak

    04/12

    trend
    onlinezeitung

    Vor 20 Jahren hatte der US-Historiker Michael Seidman seine Doktorarbeit unter dem Titel „Arbeiter gegen die Arbeit“ herausgegeben. Dass nach zwei Jahrzehnten eine deutschsprachige Ausgabe realisiert werden konnte, ist in erster Line dem Verlag Graswurzelrevolution und dem Übersetzer Andreas Förster zu verdanken.

    Das Buch ist eine Fundgruppe für alle, die sich für eine Sozialgeschichte der spanischen Revolution und der französischen Volksfrontpolitik jenseits der Partei- und Organisationsgeschichte interessieren. Seidman untersucht, wie die Mehrheit der Proletarier_innen 1936 in Barcelona und Paris auf die linken Umwälzungen regierten. Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein. In Barcelona hatte die anarchosyndikalistische CNT die Kontrolle über einen Großteil der Betriebe übernommen. Im selben Jahr übernahm eine von der Kommunistischen Partei Frankreichs unterstützte Volksfrontkoalition im nördlichen Nachbarland die Regierung.

    Da Seidman nicht die Organisationen und ihre Ideologien, sondern deren Politik und ihre Auswirkung auf die Mehrheit der Bevölkerung interessiert, kommt er zu auf den ersten Blick erstaunliche Befunde. Beiden ideologisch so unterschiedlich positionierten Bewegungen ging es um eine Gesellschaft der Produzent_innen. Seidman zeigt an zahlreichen Beispielen aus der anarchosyndikalistischen Presse und anhand von Propagandaplakaten, dass das Ideal der spanischen Anarchosyndikalist_innen eine Gesellschaft der Arbeit war. In harschen Tönen wandten sie sich alle, die nicht durch ihre Arbeit an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligten. “Die Müßiggänger schieb bei Seite“, dieser Satz aus der Internationale wurde von einem großen Teil der CNT-Aktivisten mit voller Überzeugung gesungen. Damit polemisierten sie gegen den Adel und den Spanien damals sehr mächtigen Klerus, aber auch gegen eine Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, Spanien zu einem modernen Industrieland zu formen. Seidman zeigt auf, dass sich die CNT diese Aufgabe übernehmen wollte und dafür die Stachanow-Methoden der Bestarbeiter_innen aus der Sowjetunion zum Vorbild nahm. Auch den Taylorismus, den die CNT anfangs als arbeiterfeindlich bekämpfte, akzeptierte sie schließlich. Die Zergliederung der Arbeit wurde von vielen CNT-Aktivisten als Beitrag zur Verbesserung der Arbeitswelt gesehen. Damit kamen sie bald in Konflikt mit dem Teil der Proletarier_innen, die entweder politisch uninteressiert waren oder in die CNT nur eingetreten sind, weil sie sich 1936 in Barcelona Vorteile erhofften. Auf vielen Seiten zeigt der Historiker auf, wie sich die CNT zunächst mit beschwörenden Appellen, doch bald mit Kontrolle und Überwachung, die Ausgabe von Arbeitsausweisen und bald gar die Errichtung von Arbeitshäusern um die Erhöhung der Produktivität bemühte.
    In Paris setzte mit der Volksfrontbewegung die Arbeiterfreizeit- und urlaubsbewegung ein. Seidman sieht hier sogar die Wurzeln des Billigtourismus. Nicht Arbeiterkontrolle, sondern die Entdeckung, dass Arbeiter_innen als Konsument_innen sein können, sei der Kern der Politik der französischen Regierung gewesen. Mag man manchen Thesen Seidmans auch nicht folgen. Die zentrale These vom Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit hat er mittlerweile selber relativiert, was sich auch an der Änderung des Titels zeigte. Auch wenn er die Quellen gelegentlich sehr eigenwillig interpretiert, so ist das Buch ein Stück Arbeitergeschichtsschreibung, die ansonsten ignoriert und vernachlässigt wird.

    Ansporn zur Diskussion

    Es ist auch ein Ansporn zur Diskussion, der auch in libertären Kreisen schon erfreulich eifrig genutzt wird. Es gibt aus dem Umfeld der libertären Publikation Barrikade gar eine eigene Homepage dazu.

    Gegen die Arbeit? Aufruf zur Diskussion

    Allerdings finden sich dort merkwürdige Untertöne, wenn suggeriert wird, dass es als Affront empfunden wird, dass ausgerechnet ein FAU-Mitglied das Buch übersetzt hat. Dabei müsste man es begrüßen, dass Buch nun endlich übersetzt worden ist und damit auch in Deutschland die kritische Diskussion beginnen kann. . Und warum soll denn nicht die Theorie und Praxis genau so kritisch diskutiert werden können, wie die der Kommunist_innen? Es gab in Teilen des libertären Spektrums, besonders bei Genoss_innen, die sehr auf die Geschichte fixiert waren, bisweilen den Eindruck, als würde das Bild von den „guten Libertären“ gezeichnet, die von den „bösen Kommunisten“ verfolgt, ermordet und an der Durchsetzung ihrer Vorstellungen gehindert wurden. Es ist auch Seidmans Verdienst diesem binären gut-böse-Schema historische Fakten gegenüber gestellt zu haben.. Denn, auch die meisten Libertären haben sich mehr mit der Verfolgung als mit der realen Politik der anarchistischen Gruppen in Spanien befasst. Völlig recht aber haben die Genoss_innen mit dieser Kritik an Seidman.

    „Seidman propagiert ganz offen den Individualismus: »Individualität ist das Einzige, was Menschen gemein haben.« (Leitmotiv seines Buches ‚The Republic of Egos‘, 2002). Allerdings ist das kein „Schlag ins Gesicht“ für Genoss_innen, die weiterhin das Konzept der Selbstorganisation auch im Arbeitsleben vertreten, wie die Libertären von der Barrikade meinen. Vielmehr wird hier die Diskrepanz zwischen einen Anarchismus deutlich, der sich in erster Linie individualistischen Konzepten orientiert und anderen, die eben die selbstbestimmte Kollektivität in den Mittelpunkt stellen.

    Seidman und Occupy

    Die Kritik an dem Individualismus von Seidman ist völlig korrekt beschrieben. Er durchzieht sein ganzes Buch und ist auch wesentlich für seine Theorie. Für ihn ist der individuelle Lohnabhängige ohne gewerkschaftliche und politische Organisierung der Maßstab und die Norm. Lohnabhängige, die sich in einer Gewerkschaft oder gar in einer politischen Partei organisiert haben, fallen für ihn unter die Rubrik der Funktionär_innen, die den Lohnabhängigen ihre Politik aufdrücken wollen. Nur vor dem Hintergrund dieses politischen Dogmas kann Seidman zu dem Schluss kommen, dass sämtliche politische und gewerkschaftlichen Organisationen die Lohnabhängigen nur zu ihren Konzepten zwingen wollen. Er fragt nicht, ob sich in diesen Organisationen nicht auch Lohnabhängige sich freiwillig organisiert haben, die eben aus ihren Erfahrungen am Arbeitsplatz die Konsequenz gezogen haben, dass der autonome Lohnarbeiter wie ihn sich Seidman vorstellt, ein besonders ausbeutbares Subjekt ist. Bemerkenswert auch, wie er die ganze Masse der Unorganisierten ziemlich undifferenziert zusammen fasst, als Subjekte, die vor der Lohnarbeit flüchteten. Dabei berücksichtigt er die spezifischen historischen Situationen genau so wenig, wie die kulturellen, religiösen und politischen Prägungen dieser Menschen. Denn der autonome Arbeiter, der in keiner Organisation und politischen Gruppierung organisiert ist, ist erst einmal eine Seidmansche Fiktion. Der konnte in Barcelona 1936/37 als Franco-Anhänger, als Falangist oder militanter Katholik seine Arbeitsverweigerung als Teil seines Kampfes für die Reaktion begriffen haben. Es kann aber auch einfach Armut und Hunger gewesen sein, die ihn zur Migration von der Stadt aufs Land veranlassten. Denn in Zeiten der ökonomischen Not gibt es auf dem .Land eben manchmal noch bessere Ernährungsmöglichkeiten als in der Stadt. Auf jeden Fall lohnt eine kritische Auseinandersetzung auch mit Seidmans individualistischen Konzept, weil dass höchst modern erscheint. Findet es sich in großen Teilen der Occupy-Bewegung wieder, wo jeder Teilnehmende auch nur für sich sprechen soll, und auch selbstgewählt Kollektive verdächtig sind.. Auch dort wurden aktive Gewerkschafter_innen schon mal aufgefordert, ihre Gewerkschaftsfahnen einzurollen. Das betraf in Frankfurt/Main linke IG-Metall- und ver.di-Aktivist_innnen. Aber sicher wären auch Kolleg_innen der FAU oder einer anderen Gewerkschaft davon nicht verschont geblieben. Daher hat neben der interessanten Darbietung historischer Dokumente Seidmans Buch auch noch einen weiteren Vorzug. Es kann helfen, Konzepte von selbstbestimmter Kollektivität zu verteidigen und einen reinen Individualismus zurückzuweisen. Denn dahinter verbirgt sich allzu oft das Interesse nach jederzeit flexiblen, beliebig ausbeutbaren Arbeitskräften.

    Michael Seidman
    Gegen die Arbeit
    Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38

    Verlag Graswurzelrevolution
    Heidelberg 2011
    480 S., 24,80 Euro

    Anmerkung Syndikalismus: Auch an dieser Stelle nocheinmal der Hinweis das Syndikalismus von jeder Organisation, Zeitschrift und Gruppe unabhängig ist. Zu diesem Beitrag von Genosse Nowak gibt es zudem einen eigenen Artikel samt Diskussion. Hier findet ihr ihn: https://syndikalismus.wordpress.com/2012/03/30/lob-der-individualitat-michael-seidmans-gegen-die-arbeit/

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