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1. Mai 1933 – Historische Dokumente zur kampflosen Kapitulation der bürgerlichen Gewerkschaften vor den Nazis

24. April 2010

ADGB-Führer biederten sich erfolglos bei den neuen Machthabern an.

Zwei interessante Beiträge entnehmen wir der Homepage des Anarcho-Syndikalistischen Kreises Hamburg (ASK/VAB Hamburg-Altona). Zum einen das historische Dokument der Kapitulation und Anbiederung an den Nazi-Staat des sozialdemokratischen „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB) vom 28.04. 1933 und zum anderen den Artikel „Und die Vorgeschichte“ der auch den Titel „Die bürgerlichen Gewerkschaften kapitulierten kampflos vor dem Faschismus!“ tragen könnte. Gerade dieser Artikel sollte aufmerksam gelesen und verbreitet werden, um der Wahrheit über den Verrat der bürgerlichen Gewerkschaften genüge zu tun und der Lüge von der „Einheitsgewerkschaft als antifaschistischem Resultat aus dem Scheitern vor dem Nationalsozialismus“ ein Ende zu bereiten.

Beide Texte inklusive Quellenangaben und Glossar gibt es hier als PDF zum laden und ausdrucken.

Beschluß des „Führerkreises der vereinigten Gewerkschaften“ vom 28. April 1933 (1)

SA-Männer besetzen das Gewerkschaftshaus des ADGB am Engelsufer in Berlin (2. Mai 1933).

Die nationale Revolution hat einen neuen Staat geschaffen. Dieser Staat will die gesamtdeutsche Volkskraft einheitlich zusammenfassen und machtvoll zur Geltung bringen. Aus diesem volklichen Einheits- und Machtwillen heraus kennt er weder klassenmäßige Trennung noch volksabgewandte Internationalität. Diese Tatsache stellt das gesamte deutsche Volk, jeden seiner Stände und jeden Einzelnen vor die Notwendig­keit, seine Haltung zu diesem Staat festzulegen.

Die deutschen Gewerkschaften sind sich bewußt, daß auch sie an die Neugestaltung von Volk und Nation Forderungen stellt. Sie sind überzeugt, daß von ihrer bewußten Einordnung in die Neugestaltung die Zukunft des deutschen Volkes entscheidend beeinflußt wird. In dieser Erkenntnis, sind sich alle Richtungen der deutschen Arbeitergewerkschaften einig. Sie sind, getreu ihrer staatspolitischen Tradition, zu positiver Mitarbeit am neuen Staat bereit.

Die deutschen Gewerkschaften sind in den Jahrzehnten ihrer Geschichte mit dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Dasein des ganzen Volkes verwachsen. Sie sind, getreu ihrer staatspolitischen Tradition, zu positiver Mitarbeit am Staat bereit.

Die deutschen Gewerkschaften sind in den Jahrzehnten ihrer Geschichte mit dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Dasein des ganzen Volkes verwachsen. Sie waren und sind gestaltende Kräfte seiner Lebensordnung. Weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft noch der Staat können ihre positive Mitarbeit entbehren., ohne daß die Gesamtinteressen der Nation Schaden leiden.

Die deutschen Gewerkschaften sind des Glaubens, daß sie der großen Aufgabe des neuen Staates, alle Kräfte des deutschen Volkes zu einer stärkeren Einheit zusammenzu­fassen, am besten dienen, wenn sie sich über alle Trennungen der Vergangenheit hinweg zu einer einzigen umfassenden nationalen Organisation der Arbeit vereinigen. Deshalb bekunden der Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Hauptvorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands und der Hauptvorstand des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine (HD) die Absicht, die bestehenden Spitzen- und Berufsverbände mit dem Ziel der Umformung und Vereinheitlichung zusammenzuschließen.

Zur Vorbereitung und Durchführung dieses Zieles bestimmen die Vorstände einen Führerkreis, für den jede Gewerkschaftsrichtung drei Personen stellt.

Der Führerkreis hat folgende Aufgaben:

1. Die geistige Grundlage der Einheitsgewerkschaften zu klären und festzulegen;

2. Die Voraussetzungen für den organisatorischen Zusammenschluß der einzelnen Berufsverbände durch Verhandlungen mit den Verbandsvorständen zu schaffen;

3. Den Bund der vereinigten Gewerkschaften technisch vorzubereiten, Satzungen auszuarbeiten und die Führer- und Personalfrage nach Zahl und Namen zu lösen;

4. Die praktischen Zielsetzungen der Einheitsgewerkschaften festzulegen. Dabei ist zu beachten, daß

a) die Gewerkschaften die berufenen Vereinigungen zur Vertretung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und Angestellten sind;

b) das höchste Ziel ihrer Arbeit die Förderung eines gesunden Staates und Volkes als Voraussetzung zur Sicherung der sittlichen, kulturellen, staatlichen und wirt­schaftlich-sozialen Lebensrechte des deutschen Arbeiterstandes ist;

c) die religiösen Grundkräfte in ihrer staats- und gesellschaftsaufbauenden Bedeutung geachtet und anerkannt werden;

d) die Gewerkschaften parteipolitisch völlig ungebunden sein müssen.

5. Die Verhandlungen mit der Regierung und sonstigen verantwortlichen Stellen zu führen;

6. Das aktive und passive Vermögen in die gemeinsame Verwaltung überleiten;

7. Die immobilen und mobilen Werte der Verbände, der Orts- und Bezirksausschüsse bzw. Kartelle, der Arbeitersekretariate usw. als gemeinsame Einrichtungen zu überführen und der gemeinsamen Benutzung dienstbar zu machen.

Der Führerkreis handelt im Auftrag der gesamten Vorstände selbständig und bindend. Er kann zu seinen Beratungen Sachverständige zuziehen und sie gutachtend hören. Er kann für Spezialgebiete Unterausschüsse einsetzen.

Bis zum Abschluß der Vorarbeiten des Führerkreises enthalten sich die Vorstände jeder Sonderverhandlungen über die Umgestaltung der Gewerkschaften.

Der Führerkreis verpflichtet sich, den Vorständen über die entscheidenden Abschnit­te der Verhandlungen jeweils Bericht zu erstatten.

[Für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund:]

Theodor Leipart, Peter Grassmann, Wilhelm Leuschner, Franz Spliedt

[Für den GCGD:]

Friedrich Baltrusch, Franz Behrens, Jakob Kaiser, Bernhard Otte, Adam Stegerwald

[Für die VDG (HD):]

Ernst Lemmer.

Und die Vorgeschichte?

„Organisation – nicht Demonstration: das ist die Parole der Stunde“ – so formulierte Theodor Leipart am 31. Januar 1933 in Bundesausschuß des ADGB die Leitlinie der gewerkschaftlichen Politik für die kommenden Wochen und Monate.(2)

Außer Aufrufen zu Ruhe, Ordnung und Disziplin hatte der ADGB nichts zu bieten. Sie polemisierten auch gegen die Aufrufe anderer Gewerkschaftsorganisationen – wie der anarchosyndikalistischen FAUD – und der KPD gegen den Generalstreik zum Sturz der faschistischen Regierung. Gegen die „unentwegten Generalstreiktheoretiker“ pöbelte der stellvertretende ADGB-Vorsitzende Peter Grassmann beim Führerappell der Eisernen Front am 13. Februar 1933: „Der Generalstreik ist eine furchtbare Waffe nicht nur für den Gegner, ihn veranlassen und verantworten kann man nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn es sich um Leben und Sterben der Arbeiterklasse handelt.“ (3)

Die bürgerlichen Gewerkschaften kapitulierten kampflos vor dem Faschismus!

In einer Erklärung des ADGB-Vorstandes vom 21. März – also nachdem eine Woche vorher SA und SS der Nazis massiv die „freien“ Gewerkschaften angegriffen hatten! – anerkannte er bereits das „Recht des Staates, in die Auseinandersetzungen zwischen organisierter Arbeiterschaft und Unternehmertum einzugreifen, wenn das Allgemeininteresse es erforderlich macht.“ Und: „Eine staatliche Aufsicht [über die] Gemeinschaftsarbeit der freien Organisationen der Wirtschaft könnte unter Umständen durchaus förderlich sein, ihren Wert erhöhen und ihre Durchführung erleichtern.“ Auch die Selbstaufgabe wurde in dieser Erklärung mit den dürren Worten zur Disposition gestellt, denn „über die Form der Organisation steht die Wahrung der Arbeiterinteressen“. (4)

Am 21. März gab der ADGB eine ‚Ergebenheitsadresse’ gegenüber den neuen Machthabern ab und am 29. März bot der ADGB-Führer Leipart noch die „restlose Lösung von der SPD“als Rettungsversuch an.

Und auf einer Bundesausschußsitzung des ADGB beschlossen die Vertreter der Einzelverbände, daß man „die Vereinheitlichung des deutschen Gewerkschaftswesens“ unterstütze und daß „im Interesse der gedeihlichen Entwicklung der deutschen Wirtschaft die in jahrzehntelanger opfervoller Arbeit und mit großer Erfahrung aufgebauten Organisationen und Einrichtungen der Träger der deutschen Gewerkschaftsbewegung erhalten bleiben müßten.“ (5)

Am 13. April 1933 diskutierten Leipart, Grassmann und Wilhelm Leuschner mit Vertretern der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) über die zukünftige neue Gewerkschaftsorganisation. Der ADGB lehnte aber die Führerschaft einer Deutschen (Staats-) Gewerkschaft durch einen NSBO-Nationalsozialisten ab.

Und in ihrem Aufruf zum 1. Mai 1933 – den die Hitler-Regierung zum ‚Tag der nationalen Arbeit’ verunstaltete – heißt es am 15. April 1933, daß der „vom leidenschaftlichen Kulturwillen beseelte deutsche Arbeiter den werktätigen Menschen einem dumpfen Arbeitsdasein zu entreißen und ihn als freie, selbstbewußte Persönlichkeit in die Gemeinschaft des Volkes einzuordnen“ habe. Am 19. April beschließt der Bundesausschuß des ADGB, die Gewerkschaften haben „im vollen Bewußtsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken, für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat sich allerorts an der von der Regierung veranlaßten Feier festlich zu beteiligen.“ (6)

Nach dieser Erklärung kam es zum offenen Bruch des Internationale Gewerkschaftsbundes (IGB) mit dem ADGB.

Diese Anpassung bis zum bitteren Ende

hatte seinen Anfang ja nicht erst mit dem Präsidial-Kabinett vom April 1930 unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning begonnen – der war als ehemaliger Geschäftsführer des christlich-nationalen DGB christlicher Gewerkschafter, und sein Arbeitsminister Adam Stegerwald war christlich-nationaler Gewerkschafter und Mitglied der katholischen Zentrums-Partei. Mit diesen Leuten hat sich der sozialdemokratische ADGB zusammengetan, um mit der Schaffung einer ‚Einheitsgewerkschaft’ das Verbot der organisierten Arbeiterbewegung zu verhindern.

Die Hoffnung der sozialdemokratischen Führerschaft, wenigstens die „freien“ Gewerkschaften durch eine ‚Gleichschaltung’ auch mit der faschistischen NSBO in eine unabhängige Deutsche (Staats-) Gewerkschaft hinüber zu retten, war ebenso feige und unverantwortlich wie der Verrat am Internationalismus und am Klassenkampf – das war der Anfang vom Ende der deutschen Arbeiterbewegung.

Das „Recht des Staates“ bekam die Arbeiterschaft auch prompt geliefert, nachdem die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 gestürmt waren und die NSDAP-Reichsregierung die Gewerkschaften in ihrem Sinne „gleichschaltete“: sie veredelte den Arbeiter nochmals – zum „Soldaten der Arbeit“!

In Hamburg traten sogar noch nach Gründung der faschistischen Deutschen Arbeitsfront am 10. Mai gegen Ende Mai 1933 u.a. der örtliche ADGB-Führer John Ehrenteit (er war bereits am 3. März als SPD-Senator zurückgetreten) zusammen mit weiteren fünf SPD-Bürgerschaftsabgeordneten aus der sozialdemokratischen Partei aus – und schlossen sich als „Gewerkschaftsgruppe“ der NSDAP-Bürgerschaftsfraktion an. Doch auch dieser vorauseilende Gehorsam rettete sie nicht: am 7. Juli verloren sie ihre Mandate in der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Kollaboration schlug fehl, sie spielten keine Rolle im „Volksstaat“ der Nazi-Faschisten.

Und wozu das alles? Um Selbstmord zu begehen, weil sie den Tod fürchteten …

Der DGB behauptet noch heute: „Die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in mehrere Richtungsgewerkschaften erwies sich als fundamentales Hindernis für die politische Aktionsfähigkeit der Arbeiterschaft. Trotz vieler Bemühungen war es nicht zur Bildung einer Einheitsgewerkschaft gekommen.“ Sie vergessen dabei zu erzählen, daß sie diese ‚Einheitsgewerkschaft’ erst nach der Machtübergabe an Hitler und seine NSDAP am 30. Januar 1933 verfolgte. Und dieses erbärmliche Abkommen über den ‚Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften’ gilt unseren wackeren Sozialdemokraten noch heute als Geburtsurkunde der deutschen ‚Einheitsgewerkschaft’ …

Auch aus diesem Grunde bleibt es für uns dabei – und ist heute wie damals gültig:

Bereitet euch vor auf die endgültige Niederwerfung des Kapitalismus und seiner Schutzgarde, des Nationalsozialismus, durch einen umfassenden Generalstreik!“ (7)

Folkert, ASK / VAB Hamburg-Altona

Anmerkungen

(1) 28.4.1933 – Vertreter der freien und christlichen Gewerkschaften sowie des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine bilden den Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften. Siehe dazu: Gerhard Beier, Zur Entstehung des Führerkreises der Vereinigten Gewerkschaften Ende April 1933, in: Archiv für Sozialgeschichte XV, 1975

(2) Die Gewerkschaften und der Regierungswechsel. 13. Bundesausschußsitzung des ADGB am 31.1.1933, in: Gewerkschafts-Zeitung Nr. 5 vom 4.2.1933

(3) Peter Grassmann, Kampf dem Marxismus? Rede anläßlich des Führerappells der Eisernen Front am 12. 3. 1933, Berlin 1933

(4) Erklärung des ADGB, in: Gewerkschafts-Zeitung Nr. 12 vom 25.3.1933

(5) „Der ADGB zur Mitarbeit bereit“, Artikel in der Frankfurter Zeitung vom 8. April 1933

(6) Stellungnahme des Bundesvorstandes des ADGB vom 15.4.1933 und Beschluß des Bundesausschuß vom 19.4.1933, in: Gewerkschafts-Zeitung Nr. 16 vom 22.4.1933

(7) Aufruf der FAUD (AS) zur Reichspräsidentenwahl am 31.7.1932

Glossar

ADGB – Allgemeiner Deutscher Gewerkschafts-Bund, größte Gewerkschaftsdachverband in der Weimarer Republik, der SPD nahestehend

»Eiserne Front« – 1931 gegründete paramilitärische Organisation des ADGB (organisierte sogenannte ‚Hammerschaften’ in den Betrieben gegen RGO und NSBO), der SPD, der Arbeitersportbünde, der Genossenschaftsbewegung und des »Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold« (Symbol: 3 Pfeile als Symbole für Aktivität, Disziplin und Einigkeit); hatte ca. 10 Millionen Mitglieder

GCGD – Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, der katholischen Zentrums-Partei nahestehend

NSBO – Betriebliche Gewerkschaftsgruppen der NSDAP (abgekupfert von der RGO der KPD)

»Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« – 1924 gegründeter Bund republikanischer Frontsoldaten

RGO – Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition der KPD

VDG (HD) – Verband der Deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker), antisozialistischer Gewerkschaftsbund, der sich als sozialliberal verstand

Literturhinweis

Jürgen Klein – Bürgerliche Demokraten oder christliche, sozialdemokratische und kommunistische Gewerkschafter. Hand in Hand gegen die Arbeiter. Hamburg 1974

Beide Artikel haben wir von der Homepage des ASK/VAB Hamburg-Altona übernommen.  Er erschien dort unter dem Titel: 1. Mai 2010 – Der Verrat der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer.
One Comment leave one →
  1. Bonavetura permalink
    26. April 2010 22:30

    Die in Anmerkung 1 des Textes genannte Dokumentation von Gerhard Beier, „Zur Entstehung des Führerkreises der Vereinigten Gewerkschaften Ende April 1933“ aus dem ‚Archiv für Sozialgeschichte‘ kann hier als PDF heruntergeladen werden:
    http://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00020255/afs-1975-365.pdf.
    Es handelt sich um die Publikation von Dokumenten aus dem Nachlaß Wilhelm Leuschners.

    Das Logo an Anfang des Textes („Der Staat der Arbeit und des Friedens“) ist übrigens nicht das des ‚Führerkreises‘, sondern das der „Deutschen Arbeitsfront“.

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